
Giora Feidman Trio
The Spirit of the Klezmer
Musik / Konzert Improvisierte Musik & Jazz / Trio / Zeitgenössische Musik 0Meisterklarinettist und Weltbürger Giora Feidman wuchs in Buenos Aires als Sohn einer Musikerfamilie auf und wurde in den 1970er Jahren zu einem der Hauptakteure des beginnenden Klezmer-Revivals. Seitdem reist er um den Globus und versetzt das Publikum mit seiner ebenso unverkennbaren wie unwiderstehlichen Interpretation dieser Musik, die als Teil der jiddischen Kultur in Osteuropa ihre Blütezeit erlebte – und gelegentlich als „jüdischer Soul“ bezeichnet wird – in Begeisterung. Sein Debüt im Pierre Boulez Saal gab Feidman im September 2020 im Trio mit Enrique Ugarte (Akkordeon) und Guido Jäger (Kontrabass). Das Konzert, das hier in voller Länge zu sehen und zu hören ist, erweckte den Geist des Klezmer auf sehr emotionale Weise und mit großem körperlichen Einsatz der Musiker zum Leben. „Klezmer“ – der Begriff geht auf die Kombination zweier hebräischer Worte zurück – ist in Feidmans Definition „ein Instrument des Gesangs, das sich durch eine Stimme ausdrückt“. Die überaus spontane Spielweise des Feidman Trios bezieht mühelos auch andere Traditionen ein: amerikanischen Jazz ebenso wie die Wiener Klassik und improvisierte Arrangements bekannter Lieder.
The Spirit of the Klezmer
Giora Feidman, Klarinette
Enrique Ugarte, Akkordeon
Guido Jäger, Kontrabass


„Es war, als ob jede Note ihren Weg fände herauf aus den tiefsten Tiefen der Seele […]. Er war die Inkarnation der Musik.“ Diese Beschreibung eines Klezmer-Musikers stammt aus Scholem Alejchems 1888 erschienenem Roman Stempenju, dessen Titel sich auf den Protagonisten, einen außergewöhnlich talentierten Geiger, bezieht. Stempenju zieht von Schtetl zu Schtetl – und von Liebschaft zu Liebschaft –, spielt auf Hochzeiten und begeistert sein Publikum mit einer Intensität, die schon fast gefährlich wird.
Ersetzte man die Fiedel durch die Klarinette, könnte man hinter Alejchems Beschreibung dieses Musikers, der die Seele berührt und elementare Kräfte freisetzt, ohne Schwierigkeiten auch Giora Feidman erkennen. Tatsächlich hat dieser Meister der Klarinette das fahrende Musikantentum, das gemeinhin mit Klezmer assoziiert wird, im Laufe seiner Karriere zu völlig neuen Höhen geführt. Einige der Klezmer-Musiker, die in den letzten Jahren des russischen Zarenreichs umherzogen, schufen Brücken zwischen der eng verwobenen Schtetl-Kultur und der nicht-jüdischen Welt außerhalb davon, indem sie letztere mit ihren bemerkenswerten musikalischen Fähigkeiten in Erstaunen versetzten. Als musikalischer Weltreisender hat Feidman immer wieder Verbindungen hergestellt zwischen dieser außerordentlichen Tradition und anderen musikalischen Formen und Stilen – und dadurch die Wahrnehmung von Klezmer als einer Art „Fusion“-Musik gestärkt, die sich durch Verschmelzung und gegenseitige Befruchtung mit einem weiten Spektrum von Einflüssen verbindet, ohne dabei jemals ihre Authentizität zu verlieren.
Obgleich ein wesentlicher Impuls für das Klezmer-Revival, das in den 1970er Jahren begann, von der jüdischen Diaspora in den USA ausging, hatte Feidman entscheidenden Anteil daran, dass diese Wiederbelebung zum weltweiten Phänomen wurde. Seine ausgedehnten Tourneen, nicht zuletzt in Deutschland, förderten die wachsende Begeisterung für diesen Musikstil, die sich in Initiativen wie den Klezmer Wochen Weimar niederschlägt (das alljährlich stattfindende Festival, das von dem Klezmer-Akkordeonisten Alan Bern gegründet wurde, heißt inzwischen Yiddish Summer Weimar). Feidman ist ein unermüdlicher Globetrotter, der immer wieder als Solist und mit seinen verschiedenen Kammermusikformationen auftritt. Die Vielzahl dieser Live-Konzerte wird ergänzt durch einen reichhaltigen Bestand an Aufnahmen, die Generationen von Klezmer-Spielern beeinflusst haben. Noch verstärkt wurde Feidmans weiter reichender kultureller Einfluss durch seine Mitwirkung am Soundtrack von John Williams zu Steven Spielbergs Historiendrama Schindler’s List aus dem Jahr 1993.
Doch das Konzert markiert nicht nur sein Debüt im Pierre Boulez Saal – und das seiner Triopartner Enrique Ugarte und Guido Jäger –, sondern, wie der 84-jährige Feidman jüngst nach einem Auftritt in Hamburg bemerkte, noch eine weitere Premiere: „Für mich ist jedes Konzert das erste Konzert meines Lebens.“ Obwohl er mit dem Klezmer-Repertoire so eng vertraut ist, dass es zu einem Teil seiner Persönlichkeit geworden zu sein scheint, obwohl er seit vielen Jahren gemeinsam mit diesen Kollegen auf der Bühne steht, ist jedes Konzert aufs Neue erfüllt von Spontaneität und einem Gefühl der Entdeckungsfreude, die das Wesen des Klezmer ausmachen.
—Thomas May
Dieser Text erschien erstmals im Programmheft des Pierre Boulez Saals zum Konzert des Giora Feidman Trios am 11. September 2020.
Clarinet
Giora Feidman
Accordeon
Enrique Ugarte
Double Bass
Guido Jäger
Recording
Camera Team
Ede Müller
Franz Thienel
Hans Schauerte
Edition & Colour Grading
Franz Thienel
Direction
Joan Soley
Sound Engineers & Audio Post-Production
Lorenz Fischer, Jacob Mäsel
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