
Bizet Jeux d’enfants
Martha Argerich & Daniel Barenboim
Musik / Konzert Duo / Klavier 0Fragt man nach den großen Pianistinnen und Pianisten des 19. Jahrhunderts, dürfte der Name Georges Bizet nur selten genannt werden – Liszt, Chopin oder Clara Schumann zählen eher zu den Favoriten. Dabei gehörte Bizet, wie nicht nur Liszt mit eigenen Ohren erfahren hatte, mit Sicherheit zu den bedeutendsten Tastenvirtuosen seiner Zeit. Allerdings konnte er selbst dem Interpreten-Dasein zeitlebens nur wenig abgewinnen und trat so gut wie nie öffentlich auf. Auch sein kompositorisches Schaffen für das Klavier ist überschaubar. Mit Jeux d’enfants („Kinderspiele“) schrieb er vier Jahre vor seinem frühen Tod dann aber noch einmal ein echtes Meisterwerk für vier Hände: 12 zauberhaft raffinierte, perfekt ausbalancierte Miniaturen, die Martha Argerich und Daniel Barenboim in einem Weihnachtskonzert 2017 im Pierre Boulez Saal interpretierten.
Georges Bizet (1838–1875)
Jeux d’enfants
für Klavier zu vier Händen op. 22 (1871)
I. L’Escarpolette (The Swing). Rêverie
II. La Toupie (The Spinning Top). Impromptu
III. La Poupée (The Doll). Berceuse
IV. Les Chevaux de bois (Wooden Horses). Scherzo
V. Le Volant (Battledore and Shuttlecock). Fantaisie
VI. Trompette et tambour (Trumpet and Drum). Marche
VII. Les Bulles de savon (Soap Bubbles). Rondino
VIII. Les quatre coins (Puss in the Corner). Esquisse
IX. Colin-Maillard (Blind Man’s Bluff). Nocturne
X. Saute-Mouton (Leap-Frog). Caprice
XI. Petit Mari, petite femme (Little Husband, Little Wife). Duo
XII. Le Bal (The Ball). Galop
Martha Argerich, Daniel Barenboim, Klavier
Am 24. Mai 1861 hielt sich Franz Liszt in Paris auf und aß zu Abend im Hause Fromental Halévys, des heute vor allem für seine Oper La Juive bekannten Komponisten. Nach dem Essen spielte er am Klavier eine neue Komposition, die so außerordentlich schwierig war, dass er hinterher erklärte: „Mir sind nur zwei Pianisten in Europa bekannt, die dieses Stück notengetreu und im richtigen Tempo spielen können – Hans von Bülow und ich.“ Halévy wandte sich an einen der anderen Gäste, spielte einige Noten aus einem bestimmten Abschnitt des Werks und fragte: „Erinnern Sie sich an diese Stelle?“ Der junge Mann setzte sich ans Klavier und spielte den betreffenden Abschnitt nach einmaligem Hören aus dem Gedächtnis nach. Liszt, beeindruckt, stellte das Manuskript des Stücks aufs Klavier und der Gast spielte es ohne zu zögern fehlerfrei. „Ich habe mich geirrt“, erklärte Liszt. „Es gibt drei von uns, die den Schwierigkeiten dieses Stücks gewachsen sind. Und gerechterweise sollte ich hinzufügen, dass der Jüngste dieser drei vielleicht der kühnste und brillanteste ist.“
Dieser brillante 23-Jährige war Georges Bizet. Es besteht kein Zweifel, dass er als reisender Virtuose eine glänzende Karriere hätte machen können und damit zu Ruhm und Reichtum gekommen wäre. Doch wie ein Freund bemerkte: „Er unternahm ebenso große Anstrengungen, seine Fähigkeiten am Klavier zu verbergen, wie andere es tun, um die ihrigen zur Schau zu stellen.“ In einem Brief erklärte Bizet: „Nichts in der Welt könnte mich dazu bringen, öffentlich aufzutreten. Der Beruf des Interpreten ist mir zuwider.“ Doch seine Weigerung, Konzerte zu geben, hatte für Bizet zur Folge, dass er sich oft in finanziellen Schwierigkeiten fand und seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht mit Unterrichten verdiente (was er meist ebenso hasste) oder Brotarbeit verrichtete wie das Arrangieren von Opernklavierauszügen für verschiedene Musikverleger. Angesichts seiner Liebe zum Klavier und der Tatsache, dass er sich seine virtuosen Fähigkeiten zeitlebens bewahrte, überrascht es, dass er so wenig dafür komponiert hat.
Vieles von dem, was er schrieb, war für Amateurpianisten zu schwierig, und den traditionellen Formen solistischer Klaviermusik wie etwas der Sonate widmete er sich gar nicht erst. Doch seine letzte Komposition für das Instrument war ein Meisterwerk: die zwölf vierhändigen Miniaturen Jeux d’enfants („Kinderspiele“) von 1871.
Jedes der Stücke ist perfekt ausbalanciert: nichts gerät zu lang, jede Note hat Anteil an Farbe und Textur, ohne je gekünstelt oder affektiert zu wirken. Im Gesamtbild ist Jeux d’enfants von geradezu Mozart’scher Vollendung – „ein wunderbares Beispiel für höchste Rafinesse im Dienst scheinbarer Naivität“, wie es der Musikwissenschaftler Hugh Macdonald ausdrückte.
Ursprünglich hatte Bizet zehn Stücke geschrieben; die Nummern 7 und 8 („Seifenblasen – Rondino“ und „Bäumchen, wechsle dich – Esquisse“) kamen erst kurz vor der Druckveröffentlichung hinzu. Es ist durchaus denkbar, dass der Verleger Durand mit Blick auf die Vermarktung der Noten bei einigen der individuellen Titel seine Hand im Spiel hatte. In Bizets Manuskript erscheinen sie in der gleichen Größe wie die Gattungsbezeichungen, in der Erstausgabe wurden die Gattungsbezeichnungen jedoch viel kleiner gedruckt. Als Bizet später fünf der Nummern für Orchester instrumentierte und sie als Petite Suite zusammenstellte, verzichtete er ganz auf die Titel, da sie ihm „zu kindisch“ erschienen. Sie zu betonen (wie etwa „Das Karussel“ oder „Bockspringen“) und dagegen die allgemeinen Bezeihnungen (wie Scherzo oder Caprice) in den Hintergrund zu stellen, verzerrt den Blick auf die Musik, wie Egon Voss in seinem Vorwort zur Partitur feststellt. Die Titel, so schreibt er, verleihen den Stücken „eine[n] Beigeschmack aus Infantilismus, Gartenlaube und dementsprechender Salonmusik, der gänzlich unangemessen ist. Es handelt sich weder um Musik für Kinder noch um kindliche Musik.“
—Paul Thomason
Dieser Text erschien erstmals im Programmheft des Pierre Boulez Saals zum Konzert von Martha Argerich und Daniel Barenboim am 23. Dezember 2017.
Klavier
Daniel Barenboim
Martha Argerich
Audio Producer
Friedemann Engelbrecht
Sound
Julian Schwenkner
Video Technicians
Markus Genge
Piet Grotelüschen
Kamera
Michael Boomers (DOP)
Thomas Falk
Winfried Hermann
Martin Roth
Volker Striemer
Jan Lehmann
Lighting Technician
Oliver Kühns
Editor
Peter Klum
Unit Manager
Valentina Schneck
Head of Production Salve TV
Karl-Martin Lötsch
UNITEL
Video Director
Eric Schulz
Producer
Magdalena Herbst
Production Manager
Franziska Pascher
Post-Production Manager
Roger Voß
Eine Produktion von Unitel in Zusammenarbeit mit Pierre Boulez Saal.
© Unitel 2018. Alle Rechte vorbehalten.
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