
Beethoven Quintett für Klavier und Bläser
Boulez Ensemble & Daniel Barenboim
Musik / Konzert Quintett & Kammerensemble 0Beethovens schrieb sein Quintett für Klavier und Bläser im Frühsommer 1796 auf einer Konzertreise, die ihn von Wien über Prag, Dresden und Leipzig nach Berlin führte. Kompositionen für Blasinstrumente, sogenannte „Harmoniemusiken“, waren in der Zeit der Wiener Klassik sehr beliebt. In diesem Fall sind aber auch die Parallelen zu einem Werk Mozarts unübersehbar: Dessen zwölf Jahre früher entstandenes Quintett KV 452 hat mit dem Beethoven’schen nicht nur die Tonart Es-Dur, die Abfolge der einzelnen Sätze und die Kombination von Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott gemeinsam. Auch der gelöste, freundliche Charakter der Musik erinnert an das verehrte Vorbild. Als der 22-jährige Beethoven sich 1792 zum Kompositionsstudium nach Wien aufmachte, gab ihm sein Förderer Graf Waldstein den Wunsch mit auf den Weg, er möge „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ erhalten. Wie sein Quintett zeigt, empfing er ihn auch aus Mozarts Werken selbst.
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Quintett für Klavier und Holzbläser Es-Dur op. 16 (1796)
I. Grave – Allegro ma non troppo
II. Andante cantabile
III. Rondo. Allegro ma non troppo
Daniel Barenboim, Klavier
Cristina Gómez Godoy, Oboe
Matthias Glander, Klarinette
Radek Baborák, Horn
Sophie Dervaux, Fagott
Ob Beethoven schon immer Beethoven war? Die Verwandlung zum Mythos, zum Seher, Propheten und Drachentöter („Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen“) setzte bereits zu seinen Lebzeiten ein: der taube Titan, der die Welt von außen sah und die Musik von innen hörte. Aber der anfängliche Beethoven, der vormalige Bonner Hofmusiker, trat zunächst als Liebling der Wiener Salons ans Licht, wenngleich er ein ziemlich garstiger Liebling sein konnte. Als sich das adlige Publikum bei einer Soiree allzu gut unterhielt und seiner Klaviermusik nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkte, brach er seinen Vortrag mit den Worten ab: „Für solche Schweine spiele ich nicht.“ Doch letztlich festigten Zwischenfälle dieses Kalibers nur den guten schillernden Ruf, und Beethovens aristokratische Gönner liebten gerade auch den „schwierigen“ Beethoven, die Ausbrüche des eruptiven Künstlercharakters. Vor allem jedoch bewunderten sie ihn für eine andere Art von Schwierigkeiten, die technischen Tücken des Klavierspiels, „welche er mit so vieler Leichtigkeit exequirt“, wie 1796 das Jahrbuch der Tonkunst von Wien und Prag festhielt und Beethoven folgerichtig in der Rubrik der „Virtuosen“ führte.
Dass sich der damalige, sozial und akustisch noch uneingeschränkte Beethoven durchaus im Glanz seiner pianistischen Souveränität gefiel, lässt eine Erzählung seines Schülers Ferdinand Ries erahnen, der seinen Lehrer bei einem Privatkonzert im Palais Lobkowitz erlebt hatte. Auf dem Programm stand Beethovens Quintett op. 16, mit dem Komponisten am Klavier und prominenten Bläsersolisten im Ensemble, unter ihnen der schon mit Mozart befreundete Oboist Friedrich Ramm aus der Münchner Hofkapelle. „Im letzten Allegro ist einigemal ein Halt, ehe das Thema wieder anfängt“, schreibt Ries in seinen Biographischen Notizen, „bei einem derselben fing Beethoven auf einmal an zu phantasiren, nahm das Rondo als Thema, und unterhielt sich und die Andern eine geraume Zeit, was jedoch bei den Begleitenden nicht der Fall war. Diese waren ungehalten und Herr Ram sogar sehr aufgebracht. Wirklich sah es posirlich aus, wenn diese Herren, die jeden Augenblick erwarteten, daß wieder angefangen werde, die Instrumente unaufhörlich an den Mund sezten, und dann ganz ruhig wieder abnahmen. Endlich war Beethoven befriedigt und fiel wieder in’s Rondo ein. Die ganze Gesellschaft war entzückt.“
Beethoven hatte sein Es-Dur-Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott im Frühsommer 1796 auf Reisen komponiert, auf einer Konzerttournee, die ihn über Prag, Dresden und Leipzig nach Berlin, an den Hof des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm II. führte. Möglicherweise entstand das Quintett als Auftragswerk für einen Mäzen und Musenfreund, wahrscheinlich als erwünschtes Pendant und Repertoiredouble zu Mozarts Quintett KV 452, mit dem es die Besetzung, die Tonart und die Satzfolge teilt. Und es wäre nicht das erste oder einzige Mal, dass Beethoven nach Mozartschen Modellen arbeitete (also „Mozarts Geist aus Mozarts Werken“ empfing). Beethoven vollendete sein Quintett offenbar noch in Berlin, aber die Uraufführung fand erst Monate später statt, am 6. April 1797 im Konzertsaal des Hoftraiteurs Ignaz Jahn in der Wiener Himmelpfortgasse.
Gut sechs Jahre zuvor war dort Mozart zum letzten Mal in einem öffentlichen Konzert aufgetreten, als Solist in seinem letzten Klavierkonzert: eine musikhistorische Gedenkstätte. Heute erklingen dort Gläser, Kaffeetassen und Kuchengabeln.
Jedenfalls war Beethovens Quintett wie das vorangegangene Mozartsche zum Konzertgebrauch bestimmt, für den Komponisten in seiner Eigenschaft als Virtuose, und zweifellos auch auf das Publikum ausgerichtet, die „entzückte Gesellschaft“. Aber Beethovens Quintett erscheint mehr noch als sein Vorgänger und Vorbild wie eine Hybride, ein Werk, in dem sich musikalische Traditionslinien kreuzen. Es eignet sich bestens als Klavierkonzert ohne Orchester, mit einem Ensemble „a quattro“ (wie bei Mozarts frühen Wiener Konzerten KV 413–415), nur dass die „Begleitung“ nicht von einem Streichquartett, sondern von vier Bläsern übernommen wird. Diese vier repräsentieren überdies die Instrumente einer „Harmoniemusik“, die paarweise ein reines Bläseroktett bilden, je zwei Oboen, Klarinetten, Hörner und Fagotte, eine selbst am Wiener Kaiserhof geschätzte Spätform der Freiluftserenade und Feldpartie. Auch Beethoven hatte in Bonn für die kurfürstliche Hofmusik „auf die Harmonie“ komponiert. Und wenn man den von Ries kolportierten Zwischenfall mit der Komponisten-Kadenz und Endlos-Improvisation beim Wort nimmt, insbesondere die spitze Bemerkung über die „Begleitenden“, könnte man das Quintett sogar noch der überkommenen Praxis der „begleiteten Klaviersonate“ zuordnen (aus der die modernen Duosonaten und Klaviertrios hervorgingen).
Andererseits erschließt sich Beethoven mit dieser undefinierten, kreuz und quer zu allen Gattungen platzierten Besetzung ein reiches Experimentierfeld (im Gegensatz zum verminten Gelände der Symphonie und des Streichquartetts). Das Quintett beginnt wie die Ouvertüre zu einer barocken Suite, allerdings in gedämpftem Ton, eine Beschwörung der Vergangenheit, die erst nach und nach ans Licht zurückkehrt: erinnerte Musik. Doch nach dieser anachronistischen Grave-Introduktion wechselt Beethoven in das Ressort einer Studiensymphonie, erprobt Satzarten, das Gespräch der Instrumente, den Elan einer an die große Öffentlichkeit, die Gesellschaft (das „Menschengeschlecht“) gerichteten Ansprache, um spätestens mit dem zweiten Teil des Allegro zum mächtigen symphonischen Sound aufzudrehen und in der Coda schier endlos und unerschöpflich alle denkbaren Schlusseffekte und Finalwirkungen auszureizen. Das zentrale Andante cantabile durchlebt den Gesang, die Gesanglichkeit in jeder Form; deutsches Lied, italienische Arie, Choral, Hymne, Refrain. Wie ein Lied, ein Reiterlied, klingt auch das Rondo, der letzte Satz, im Tonfall einer Ballade, einer dramatischen Unterhaltung. Und im Gegensatz zum unaufhörlichen Kopfsatz findet das echte Finale buchstäblich kein Ende, es verliert sich, verrinnt, zerfällt. Der dennoch unvermeidliche Schluss erfolgt zuletzt nur noch umstandslos: als würden mit knappem Gruß die Noten zugeklappt.
—Wolfgang Stähr
Dieser Text erschien erstmals im Programmheft des Pierre Boulez Saals zum Konzert des Boulez Ensembles am 7. Oktober 2020.
Klavier
Daniel Barenboim
Oboe
Cristina Gómez Godoy
Klarinette
Matthias Glander
Horn
Radek Baborák
Fagott
Sophia Dervaux
Audio Producer
Friedemann Engelbrecht
Sound engineer
Julian Schwenkner
Kamera
Michael Boomers (DOP)
Eric Lahmann
Hans Peter Eckardt
Anna Bechtle
Video Director
Friedrich Gatz
Producer
Oliver Becker, otbmedien
Eine Produktion des Pierre Boulez Saals.