

Ligeti Trio für Violine, Horn und Klavier
Michael Barenboim, Ben Goldscheider, Giuseppe Mentuccia
Musik / Konzert Trio 0Nach Fertigstellung seiner beispiellos originellen Oper Le Grand Macabre im Jahr 1977 sah sich György Ligeti außerstande, irgendein bedeutendes Werk zu schaffen, obwohl er Hunderte von Skizzen machte. Doch mit dem Trio für Violine, Horn und Klavier aus dem Jahr 1982 gelang ihm ein Durchbruch, der zugleich eine Neuorientierung bedeutete. Den Anstoß dazu gab die Anregung eines Freundes, ein zeitgenössisches Pendant zu Brahmsʼ Horntrio zu schreiben (ebenfalls ein seltenes Experiment in der Kammermusik seiner Zeit). Ligeti greift darin auf traditionelle Formen zurück – etwa in dem bemerkenswerten Lamento-Finale auf die altmodische Passacaglia-Form mit ihrer ostinaten Basslinie, die Brahms für einige seiner Kompositionen wiederentdeckt hatte. Dennoch ist das Trio, das die Vergangenheit „aus ironischer Distanz“ betrachtet, wie Ligeti es ausdrückte, kein postmodernes Pastiche. Für jedes Instrument werden gleichzeitig verschiedene Stimmungssysteme verwendet, und das Stück hat, so Ligeti, „Ecken und falsche Böden, die nirgendwo hinpassen“.
György Ligeti (1923–2006) Trio für Violine, Horn und Klavier (1982)
I. Andante con tenerezza II. Vivacissimo molto ritmico III. Alla marcia IV. Lamento. Adagio
Michael Barenboim, Violin Ben Goldscheider, French Horn Giuseppe Mentuccia, Piano |
„1982 habe ich mich entschlossen, das Spiel um die ‚Krise‘ nicht mehr mitzumachen.“ Und dieser Entschluss wurde begünstigt und beflügelt durch einen Kompositionsauftrag für eine ausgefallene und gleichzeitig mit Geschichte gesättigte Besetzung: ein Trio für Violine, Horn und Klavier, als Beitrag zum anstehenden Brahms-Jahr 1983 und als Repertoirezwilling zum gleichbesetzten Trio op. 40 des Jubilars. Also schrieb Ligeti eine Hommage à Johannes Brahms, „dessen Horn-Trio als unvergleichliches Beispiel dieser Kammermusik-Gattung im musikalischen Himmel schwebt. Gleichwohl befinden sich in meinem Stück weder Zitate noch Einflüsse Brahmsscher Musik.“ Oder vielleicht doch, unter Umständen und auf Umwegen? „Brahms-Zeit ist Endzeit, zusammenfassend, retrospektiv, die Vergangenheit fortschreibend, aber auf der Höhe des Augenblicks“, befand der Schriftsteller Martin Gregor-Dellin in besagtem Gedenkjahr 1983. „In Brahms kommt die Musik des 19. Jahrhunderts zum letztenmal zu sich selbst, in ihrem Melos, das alsbald sein gutes Gewissen verliert.“ Dem Ligeti des Horntrios war zwar gewiss nichts an einer Retrospektive gelegen: Er wollte erklärtermaßen „nicht in den alten Avantgarde-Klischees weiterkomponieren“, aber ebenso wenig Ausflüchte zu historisierenden Stilen nehmen – „kein Wiederkäuen der Vergangenheit“. Auf das Melos jedoch, die „durchhörbaren melodischen Gestalten“, kam es ihm sehr wohl an: „Meine Musik sollte sehr viel melodischer werden“, und natürlich ohne jedes schlechte Gewissen.
Doch muss das Trio keineswegs nach Brahms klingen um eine „endzeitliche“ Abschiedsstimmung zu verbreiten: Der Fortschritt zeigt sich als Fortgang, als ein Fortgehen. Jedenfalls bleibt es auffallend und eigensinnig genug, dass Ligeti sein Comeback mit einem Lebewohl feierte, buchstäblich. Denn er zitiert am Beginn seines Horntrios die Anfangstakte der Klaviersonate Les Adieux von Beethoven, die mit eben diesem Scheidegruß überschrieben sind, „Le-be wohl!“, und obendrein das zweistimmige Spiel eines Naturhornduos nachahmen, genauer gesagt, eine charakteristische Intervallfolge, ein abstraktes Signum der Naturtöne: die sogenannten „Hornquinten“ (strenggenommen nur eine Quinte in der Mitte des Dreischritts, von großer Terz und kleiner Sext eingefasst), die unweigerlich Assoziationen an Fernweh, Abreise, Natur und Romantik wachrufen. Wenn sie ganz am Ende zurückkehren, am Schluss des Trios, wie eine Erinnerung zweiten Grades, die Reminiszenz einer Reminiszenz, erscheinen sie nur noch, wie Ligeti sagt, als „Foto einer Landschaft, die inzwischen im Nichts aufging“. Ligeti-Zeit ist Endzeit.
Oder doch nicht? György Ligeti verstand sein Horntrio zwar als ein „provokant ‚konservatives‘“ und „oppositionelles“ Stück. Die „traditionellen Formschemata aller vier Sätze“ habe er „aus einer Art Aufmüpfigkeit gegen die etablierten Konventionen der Avantgarde“ gewählt: eine dreiteilige Reprisenform für die „sehr ferne, zarte und melancholische Musik“ des „Andantino con tenerezza“; ein angefachtes, abgehetztes Ostinato im zweiten Satz; ein Scherzo mit Trio nach dem Modell des „Vivace alla Marcia“ aus Beethovens Klaviersonate A-Dur op. 101; und schließlich eine Passacaglia über ein chromatisch fallendes, pseudobarockes Lamentothema (das sich als erweiterte Variante der anfänglichen „Hornquinten“ erweist).
Und vieles tönt wie eine Elegie auf die vergangene, unvergängliche Wiener Moderne, bis zur Selbstaufgabe der letzten Takte, „morendo al niente“.
Im erwähnten zweiten Satz, dem „Vivacissimo molto ritmico“, arbeitet Ligeti mit den verqueren „aksak“-Rhythmen des türkischen „Hinketanzes“, die freilich auch als Samba oder Rumba gehört werden könnten: „Ich bin ein Freund der Vermengung der Kulturen“, sagte Ligeti. Aber mit „Weltmusik“ wollte er nichts zu tun haben, das sei „ein kommerzieller Ausdruck für Schallplattenabteilungen“. Vermengung der Kulturen, geographisch wie historisch: Egal ob die Violine in Doppelgriffen das Les Adieux-Zitat am Beginn oder das Lamento zum Finale intoniert, es klingt allzeit „schief“. Aber nicht im Sinne der Verfremdung oder schräger neoklassizistischer „Falschismen“, sondern als Ausreizung und Bereicherung der Harmonik – in Richtung einer „nicht-diatonischen Diatonik“, wie Ligeti es nannte, oder modaler, folkloristischer Tonleitern; selbst Zwölftonreihen geistern durch die Binnensätze, wenngleich ohne jeden seriellen Rigorismus. Aber Ligeti treibt die „Endzeit“ der Dur-Moll-Tonalität noch weiter, auf frappierende Art zurück zur Natur. György Ligeti, „des temperierten Stimmungssystems überdrüssig“, legt die Schichten der zunehmend normierten Musikgeschichte übereinander. Im Trio trifft das „wohltemperierte“ Klavier mit Geige und Horn zusammen, bis nichts mehr stimmt und alles richtig falsch klingt. „Die in reinen Quinten gestimmte Violine weicht, wie immer bei Kammermusik für Streicher und Klavier, von der temperierten Stimmung erheblich ab“, erklärt Ligeti. Das Horn aber bot ihm noch ganz andere Perspektiven. Bis zur Erfindung der Ventilsysteme im 19. Jahrhundert stand dem Hornisten nur die begrenzte Zahl und Auswahl der Naturtöne zu Gebote, wenn er das ventillose Waldhorn blies. Auf dem modernen Ventilhorn dagegen lassen sich buchstäblich durch Knopfdruck weitere Naturtonskalen zuschalten, die Natur wird überlistet, und der Meister muss sich nicht länger in der Beschränkung zeigen. Ligeti schreibt für das Trio zwar ein Ventilhorn in F/B vor, denkt dabei aber praktisch an eine Sammlung von Naturhörnern. Er komponiert in Naturhornstimmungen: „So erklingen hauptsächlich untemperierte Obertöne, die dann den Violinisten in seinen Griffen verwirren. Das ist Absicht.“
—Wolfgang Staehr
Violine
Michael Barenboim
Horn
Ben Goldschneider
Klavier
Giuseppe Mentuccia
Audio Producer
Friedemann Engelbrecht
Sound
Sebastian Nattkemper
Kamera
Henning Brümmer (DOP)
Eric Schulz
Lighting Technician
Marius Adam
Editor
Peter Klum
Video director
Eric Schulz
Eine Produktion des Pierre Boulez Saals © 2020 Pierre Boulez Saal. Alle Rechte vorbehalten.
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