Matthias Pintscher Musikalische Leitung
Julia Hamos Klavier

Boulez Ensemble

Matthias Pintscher Musikalische Leitung
Julia Hamos Klavier

Alberto Acuña Flöte, Piccoloflöte, Altflöte
Fabian Schäfer Oboe, Englischhorn
Leonid Surkov Oboe
Stephan Mörth Klarinette, Es-Klarinette, Bassklarinette, Alt-Okarina
Miri Saadon Klarinette
Aziz Baziki, Kenichi Furuya Fagott
Ben Goldscheider, Bar Zemach Horn
Alper Çoker, Manuel Abreu Trompete
Jan Donner Posaune
Emil Kuyumcuyan Pauken, Percussion
Jean-Baptiste Bonnard, Elias Aboud Percussion
Holger Groschopp, Kyoko Nojima Klavier
Nikita Boriso-Globsky, Mayumi Kanagawa Violine
Álvaro Castelló Viola
Anouchka Hack, Jan Sekaci Violoncello
Alexander Arai-Swale Kontrabass

Matthias Pintscher Musikalische Leitung
Julia Hamos Klavier

Alberto Acuña Flöte, Piccoloflöte, Altflöte
Fabian Schäfer Oboe, Englischhorn
Leonid Surkov Oboe
Stephan Mörth Klarinette, Es-Klarinette, Bassklarinette, Alt-Okarina
Miri Saadon Klarinette
Aziz Baziki, Kenichi Furuya Fagott
Ben Goldscheider, Bar Zemach Horn
Alper Çoker, Manuel Abreu Trompete
Jan Donner Posaune
Emil Kuyumcuyan Pauken, Percussion
Jean-Baptiste Bonnard, Elias Aboud Percussion
Holger Groschopp, Kyoko Nojima Klavier
Nikita Boriso-Globsky, Mayumi Kanagawa Violine
Álvaro Castelló Viola
Anouchka Hack, Jan Sekaci Violoncello
Alexander Arai-Swale Kontrabass

Programm

Wolfgang Amadeus Mozart
Serenade für Blasinstrumente c-moll KV 388 (384a) „Nacht Musique“

György Ligeti
Konzert für Klavier und Orchester

Arnold Schönberg
Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene op. 34

Unsuk Chin
Gougalōn (Scenes from a Street Theater) für Ensemble

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Serenade für Blasinstrumente c-moll KV 388 (384a) „Nacht Musique“ (1782)

I. Allegro
II. Andante
III. Menuetto in canone – Trio in canone al rovescio
IV. Allegro

 

György Ligeti (1923–2006)
Konzert für Klavier und Orchester (1985–88)

I. Vivace molto ritmico e precioso –
II. Lento e deserto
III. Vivace cantabile
IV. Allegro risoluto, molto ritmico –
V. Presto luminoso, fluido, costante, sempre molto ritmico


Pause


Arnold Schönberg (1874–1951)
Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene op. 34 (1929–30)

Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe

 

Unsuk Chin (*1961)
Gougalōn (Scenes from a Street Theater)
für Ensemble (2009/11)

I. Prolog. Dramatisches Aufgehen des Vorhangs
II. Lamento der glatzköpfigen Sängerin
III. Der grinsende Wahrsager mit dem falschen Gebiss
IV. Episode zwischen Flaschen und Dosen
V. Tanz um die Baracken
VI. Die Jagd nach dem Zopf des Quacksalbers

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Serenade für Blasinstrumente c-moll KV 388 (384a) „Nacht Musique“ (1782)

I. Allegro
II. Andante
III. Menuetto in canone – Trio in canone al rovescio
IV. Allegro

 

György Ligeti (1923–2006)
Konzert für Klavier und Orchester (1985–88)

I. Vivace molto ritmico e precioso –
II. Lento e deserto
III. Vivace cantabile
IV. Allegro risoluto, molto ritmico –
V. Presto luminoso, fluido, costante, sempre molto ritmico


Pause


Arnold Schönberg (1874–1951)
Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene op. 34 (1929–30)

Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe

 

Unsuk Chin (*1961)
Gougalōn (Scenes from a Street Theater)
für Ensemble (2009/11)

I. Prolog. Dramatisches Aufgehen des Vorhangs
II. Lamento der glatzköpfigen Sängerin
III. Der grinsende Wahrsager mit dem falschen Gebiss
IV. Episode zwischen Flaschen und Dosen
V. Tanz um die Baracken
VI. Die Jagd nach dem Zopf des Quacksalbers

György Ligeti in den 1970er Jahren

Das magische Helldunkel

Das optische Spiel von Licht und Schatten, von Hell und Dunkel bildet sich auch akustisch in der Musik ab. Farbkontraste waren von jeher ein Kriterium in ihrer Beschreibung. Das Zwielicht schafft Raum für Sinnliches und Unbewusstes, für Empfindungen, die nicht mehr dem Diktat des Intellekts unterliegen – aber auch für eine Struktur, in der sich das polyphone Nebeneinander von Stimmen als Kontrast der Farben begreifen lässt. Das Boulez Ensemble und Matthias Pintscher erkunden die unterschiedlichsten Lichtverhältnisse in Werken von Mozart, Schönberg, Ligeti und Chin.

Essay von Kerstin Schüssler-Bach

Das magische Helldunkel
Zum Programm des Boulez Ensembles

Kerstin Schüssler-Bach


Dunkle Schönheit
Wolfgang Amadeus Mozart: Serenade für Blasinstrumente

Das optische Spiel von Licht und Schatten, von Hell und Dunkel bildet sich auch akustisch in der Musik ab. Farbkontraste waren von jeher ein Kriterium in ihrer Beschreibung, und in der Frühromantik übertrug man den Begriff des „chiaroscuro“ aus der Malerei als „Helldunkel“ in die ästhetische Betrachtung von Musik und Literatur. Das „magische Helldunkel“ wurde gleichgesetzt mit einem Zustand, worin dem Auge „das volle Licht der Vernunft nach und nach unerträglich wird“, wie es in Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathon von 1766/67 heißt. So schafft das Zwielicht Raum für Sinnliches und Unbewusstes, für Empfindungen, die nicht mehr dem Diktat des Intellekts unterliegen – aber auch für eine Struktur, in der sich das polyphone Nebeneinander von Stimmen als Kontrast der Farben begreifen lässt. Hier setzt die unmittelbare Wirkung von Musik an.

Als Freilichtmusik spielte auch die Gattung der Serenade mit dem Effekt wechselnder Lichtstimmungen. Wegen ihres tragfähigen Klangs waren die Blasinstrumente besonders geeignet für die abendliche Unterhaltung in Schlössern und Gärten, und die sogenannte „Harmoniemusik“ erfreute sich in Wien großer Beliebtheit. Doch aus einer Kombination von Holzbläsern ein wohlklingendes Ensemble zu formen, ist gar nicht so einfach: Entweder es fehlen Kontraste, oder der Klang fällt auseinander. Wolfgang Amadeus Mozart beherrschte auch dieses Genre perfekt und steuerte viele Serenaden und Divertimenti dazu bei. Das Bläseroktett KV 388 geht jedoch weit über eine bloße Unterhaltung hinaus. An seinen Vater Leopold schrieb Mozart im Juli 1782, er „habe geschwind eine Nacht Musique machen müssen“. Damit war vermutlich die c-moll-Serenade gemeint, die möglicherweise für die kaiserlichen Bläser Josephs II. in Wien entstand – die dunkle Schönheit und der symphonische Anspruch des dramatischen Werks sind jedenfalls wahrhaft majestätisch. Mozart schätzte diese Serenade so sehr, dass er Elemente daraus in seinem Streichquintett KV 406 und der Oper Così fan tutte verwendete.

Kaleidoskop der Farben
György Ligeti: Konzert für Klavier und Orchester

Die Musik György Ligetis macht perfekt durchorganisierte Willkürlichkeiten erlebbar – einerseits in extrem dichten Texturen, andererseits in rauschhaften Klangströmen. In den 1980er Jahren beschäftigte sich Ligeti intensiv mit dem Klavier: Zwischen der Arbeit an den Études schob er 1985 und 1986 die Komposition der ersten drei Sätze des Klavierkonzerts ein, die in dieser Form auch uraufgeführt wurden. Beim Hören gelangte er dann zur Überzeugung, das „Konzert sei noch nicht fertig“ und komponierte zwei weitere Sätze nach. In dieser fünfsätzigen Form, erstmals aufgeführt 1988 in Wien, legte Ligeti „nun mein ästhetisches Credo vor – meine Unabhängigkeit von Kriterien sowohl der tradierten Avantgarde als auch der modischen Postmoderne“. Ein überbordendes Kaleidoskop von Farben und Motiven bietet sich den Hörenden dar. Die äußerste polyrhythmische Komplexität und die Kombination verschiedener Tonsysteme zeigen sich von südostasiatischen und afrikanischen Modellen, aber auch von Kanontechniken europäischer Musik um 1400 inspiriert. Typisch für Ligeti sind die simultanen Temposchichten, die das Phänomen der vergehenden Zeit abtasten: „Ich bevorzuge musikalische Formen, die weniger prozesshaft, eher objektartig beschaffen sind: Musik als gefrorene Zeit“.

Diese Objekthaftigkeit ist vor allem im vierten Satz mit seinen zerrissenen akkordischen Gesten, „diesem großen selbstähnlichen Strudel“ (Ligeti), von den Computerbildern der Fraktale beeinflusst, die der Komponist 1984 für sich entdeckte. Dass aber nirgends der Eindruck mathematischer Kühle entsteht, dafür sorgt schon die hochvirtuose Brillanz, die allen Beteiligten abgefordert wird. Klavier und Kammerorchester durchdringen einander in einem dichten Gewebe. Ligeti arbeitet mit extremen Lagen der Instrumente, die etwa am Anfang des zweiten Satzes mit Kontrabass und Piccoloflöte in tiefer Lage ein gruseliges Kolorit erzeugen. Die rasend schnellen Figuren in fast allen Sätzen erzeugen einen unwiderstehlichen Sog. „Wenn diese Musik richtig gespielt wird, also in richtiger Geschwindigkeit und mit richtiger Akzentuierung innerhalb der einzelnen Schichten, wird sie nach einer gewissen Zeit ‚abheben‘ wie ein Flugzeug nach dem Start: Das rhythmische Geschehen, da zu komplex um im Einzelnen verfolgt zu werden, geht in ein Schweben über“, erklärte Ligeti.

Doch ein behaglicher „Flow“ ist hier natürlich nicht intendiert. Immer wieder unterbrechen schreiende Dissonanzen, Trillerpfeifen oder brutale Schläge den Fluss und erwecken ein Klima der Panik und Angst, das „Ligetis eigene Erfahrungen im Kontext von Krieg und Diktatur widerzuspiegeln scheint“, wie der Musikwissenschaftler Dirk Wieschollek schreibt.

„Das beste Stück echter Filmmusik“
Arnold Schönberg: Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene

Arnold Schönbergs starkes bildnerisches Interesse führte ihn auch zu Versuchen als Maler und Zeichner. „Visionen“ und „Blicke“ bestimmten seine malerische Ausdrucksform einer halluzinatorischen Selbsterkenntnis. Den Parametern Farbe und Licht erkannte er in seinem Bühnenwerk Die glückliche Hand aus dem Jahr 1913 die gleiche Wichtigkeit wie Tönen zu. Im synästhetischen Konzept und der Faszination durch die Farbpsychologie traf Schönberg einen Geistesverwandten in Wassily Kandinsky. Atonale Musik und abstrakte Kunst entsprachen sich.

Von der Leinwand der Bilder auf die Leinwand des Kinos fand Schönberg 1929 mit der Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene. Anlass war das Jubiläum des Verlags Heinrichshofen, der Kompositionen für Lichtspieltheater anregte. Anders als etwa Dmitri Schostakowitsch, der in jungen Jahren als Stummfilmpianist arbeitete, hatte Schönberg keine Erfahrung mit dem Medium Film, war aber an dessen neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten interessiert. Die Begleitungsmusik, seine zweite zwölftönige Orchesterpartitur, folgt mit den Stationen „Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe“ einer imaginären dramatischen Handlung. Möglicherweise hatte sich Schönberg von einem Besuch des erfolgreichen Skandalstücks Cyankali von Friedrich Wolf anregen lassen, der im gleichen Jahr das Thema Abtreibung auf der Theaterbühne behandelte. Aus Notizen Schönbergs und seiner Frau Gertrud lässt sich ein Zusammenhang herstellen, den der Komponist aber nie bestätigte.

Nach einer Aufführung mit dem Frankfurter Rundfunk-Symphonie-Orchester unter der Leitung von Hans Rosbaud im April 1930 fand die öffentliche Uraufführung im November 1930 an der Berliner Krolloper statt. Es dirigierte Otto Klemperer, der zur Visualisierung der Partitur eine Zusammenarbeit mit dem Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy vorgeschlagen hatte. Doch nach den negativen Erfahrungen mit Oskar Schlemmers Ausstattung für Die glückliche Hand war Schönberg skeptisch, und so blieb es bei einer rein konzertanten Präsentation. Als eines der zugänglichsten Zwölftonwerke Schönbergs wurde die Begleitungsmusik nach der erfolgreichen Premiere auch in anderen Ländern nachgespielt. Igor Strawinsky, der der Uraufführung beiwohnte, nannte sie „das beste Stück echter Filmmusik, das jemals geschrieben wurde“. Eine Karriere als Filmmusikkomponist hätte Schönberg nach seiner späteren Emigration nach Hollywood offen gestanden – doch ein Angebot von Metro-Goldwyn-Mayer schlug er aus. (Man darf wohl auch Zweifel hegen, dass er sich mit den künstlerischen Bedingungen und der Unterordnung der Musik unter die bewegten Bilder langfristig hätte anfreunden können…)

Gaukler und Wahrsager
Unsuk Chin: Gougalōn

Die hochkomplexe Musik von Unsuk Chin – einer Schülerin György Ligetis – ist gesättigt mit philosophischen und theatralen Kontexten, gleichzeitig aber auch von einer betörenden Sinnlichkeit. Und dem Ohr offenbaren sich wahre Klangfarbenexplosionen. Diese Freude an Farben ist es vielleicht, sagt Chin, die sie am ehesten mit der Kultur ihres Heimatlandes Korea verbindet. Doch mit traditioneller koreanischer Musik kam sie als Kind eines presbyterianischen Pfarrers kaum in Berührung. Und vergeblich sucht man bei ihr vordergründig „asiatische“ Klänge. Im Fall von Gougalōn gibt es allerdings tatsächlich eine Verbindung nach Korea. Es ist nicht der auf den ersten Blick exotisch wirkende Titel – der leitet sich nämlich aus dem Althochdeutschen ab: „falsche Tatsachen vorgaukeln“ steckt darin ebenso wie „Täuschen durch Zauberei“. Die „Gaukler“ begegneten Unsuk Chin in ihrer Kindheit in einem Vorort von Seoul. Es waren Laienmusiker:innen, die von Dorf zu Dorf zogen und das Volk mit simplen Theateraufführungen anlockten. Das Spiel war dabei nur Nebenschauplatz für den Verkauf von mehr oder minder wirkungslosen Medikamenten.

Doch Gougalōn zitiert weder Musik jenes Straßentheaters noch stellen die bildhaften Satzüberschriften eine geschlossene Szene dar. „In diesem Stück ging es mir um eine ‚imaginäre‘ Volksmusik, die stilisiert, in sich gebrochen oder nur scheinbar primitiv ist“, erklärt Chin. Gougalōn wurde 2009 durch das Ensemble Modern in Berlin uraufgeführt. Die definitive Fassung hob das Ensemble intercontemporain 2012 in Paris aus der Taufe.

Die beiden Violinen eröffnen das Stück, aufspielend zum Tanz; ihre „rutschenden“ Glissando-Akkorde erinnern ebenso wie einige Schlaginstrumente vage an asiatische Klangwelten. Das „Lamento der kahlen Sängerin“ mit den Klagerufen der Violinen und der gedämpften Posaune suggeriert eine gespenstische Szenerie. Bizarr scheppern dazu die mit einer Kreditkarte angeschlagenen Saiten des präparierten Klaviers. Eine virtuose Schlagwerketüde gibt zunächst der dritte Satz ab – als ob das „falsche Gebiss“ des „grinsenden Wahrsagers“ klapperte. Wieder jammert die Posaune dazwischen. Ihr ausgesprochen erzählerischer Gestus führt in den Dialog zwischen „Flaschen und Büchsen“. Im „Tanz um die Baracke“ erproben die Streicher allerlei unterschiedliche Artikulationsarten. Harte Schläge auf die Griffbretter und knallende Bassklänge des präparierten Klaviers schwören das Ensemble ritualhaft auf die furiose „Jagd nach dem Zopf des Quacksalbers“ ein. Sogar eine Lederpeitsche saust nieder. Doch plötzlich kommt die fieberhafte Raserei zum Stillstand – der Spuk ist vorbei, die Gestalten sinken zurück in eine Traumwelt.


Dr. Kerstin Schüssler-Bach arbeitete als Opern- und Konzertdramaturgin in Köln, Essen und Hamburg und hatte Lehraufträge an der Musikhochschule Hamburg und der Universität Köln inne. Beim Musikverlag Boosey & Hawkes in Berlin ist sie als Head of Composer Management tätig. Sie schreibt regelmäßig für die Berliner Philharmoniker, die Elbphilharmonie Hamburg, das Lucerne Festival und das Gewandhausorchester Leipzig. 2022 erschien ihre Monographie über die Dirigentin Simone Young.

Das magische Helldunkel
Zum Programm des Boulez Ensembles

Kerstin Schüssler-Bach


Dunkle Schönheit
Wolfgang Amadeus Mozart: Serenade für Blasinstrumente

Das optische Spiel von Licht und Schatten, von Hell und Dunkel bildet sich auch akustisch in der Musik ab. Farbkontraste waren von jeher ein Kriterium in ihrer Beschreibung, und in der Frühromantik übertrug man den Begriff des „chiaroscuro“ aus der Malerei als „Helldunkel“ in die ästhetische Betrachtung von Musik und Literatur. Das „magische Helldunkel“ wurde gleichgesetzt mit einem Zustand, worin dem Auge „das volle Licht der Vernunft nach und nach unerträglich wird“, wie es in Christoph Martin Wielands Geschichte des Agathon von 1766/67 heißt. So schafft das Zwielicht Raum für Sinnliches und Unbewusstes, für Empfindungen, die nicht mehr dem Diktat des Intellekts unterliegen – aber auch für eine Struktur, in der sich das polyphone Nebeneinander von Stimmen als Kontrast der Farben begreifen lässt. Hier setzt die unmittelbare Wirkung von Musik an.

Als Freilichtmusik spielte auch die Gattung der Serenade mit dem Effekt wechselnder Lichtstimmungen. Wegen ihres tragfähigen Klangs waren die Blasinstrumente besonders geeignet für die abendliche Unterhaltung in Schlössern und Gärten, und die sogenannte „Harmoniemusik“ erfreute sich in Wien großer Beliebtheit. Doch aus einer Kombination von Holzbläsern ein wohlklingendes Ensemble zu formen, ist gar nicht so einfach: Entweder es fehlen Kontraste, oder der Klang fällt auseinander. Wolfgang Amadeus Mozart beherrschte auch dieses Genre perfekt und steuerte viele Serenaden und Divertimenti dazu bei. Das Bläseroktett KV 388 geht jedoch weit über eine bloße Unterhaltung hinaus. An seinen Vater Leopold schrieb Mozart im Juli 1782, er „habe geschwind eine Nacht Musique machen müssen“. Damit war vermutlich die c-moll-Serenade gemeint, die möglicherweise für die kaiserlichen Bläser Josephs II. in Wien entstand – die dunkle Schönheit und der symphonische Anspruch des dramatischen Werks sind jedenfalls wahrhaft majestätisch. Mozart schätzte diese Serenade so sehr, dass er Elemente daraus in seinem Streichquintett KV 406 und der Oper Così fan tutte verwendete.

Kaleidoskop der Farben
György Ligeti: Konzert für Klavier und Orchester

Die Musik György Ligetis macht perfekt durchorganisierte Willkürlichkeiten erlebbar – einerseits in extrem dichten Texturen, andererseits in rauschhaften Klangströmen. In den 1980er Jahren beschäftigte sich Ligeti intensiv mit dem Klavier: Zwischen der Arbeit an den Études schob er 1985 und 1986 die Komposition der ersten drei Sätze des Klavierkonzerts ein, die in dieser Form auch uraufgeführt wurden. Beim Hören gelangte er dann zur Überzeugung, das „Konzert sei noch nicht fertig“ und komponierte zwei weitere Sätze nach. In dieser fünfsätzigen Form, erstmals aufgeführt 1988 in Wien, legte Ligeti „nun mein ästhetisches Credo vor – meine Unabhängigkeit von Kriterien sowohl der tradierten Avantgarde als auch der modischen Postmoderne“. Ein überbordendes Kaleidoskop von Farben und Motiven bietet sich den Hörenden dar. Die äußerste polyrhythmische Komplexität und die Kombination verschiedener Tonsysteme zeigen sich von südostasiatischen und afrikanischen Modellen, aber auch von Kanontechniken europäischer Musik um 1400 inspiriert. Typisch für Ligeti sind die simultanen Temposchichten, die das Phänomen der vergehenden Zeit abtasten: „Ich bevorzuge musikalische Formen, die weniger prozesshaft, eher objektartig beschaffen sind: Musik als gefrorene Zeit“.

Diese Objekthaftigkeit ist vor allem im vierten Satz mit seinen zerrissenen akkordischen Gesten, „diesem großen selbstähnlichen Strudel“ (Ligeti), von den Computerbildern der Fraktale beeinflusst, die der Komponist 1984 für sich entdeckte. Dass aber nirgends der Eindruck mathematischer Kühle entsteht, dafür sorgt schon die hochvirtuose Brillanz, die allen Beteiligten abgefordert wird. Klavier und Kammerorchester durchdringen einander in einem dichten Gewebe. Ligeti arbeitet mit extremen Lagen der Instrumente, die etwa am Anfang des zweiten Satzes mit Kontrabass und Piccoloflöte in tiefer Lage ein gruseliges Kolorit erzeugen. Die rasend schnellen Figuren in fast allen Sätzen erzeugen einen unwiderstehlichen Sog. „Wenn diese Musik richtig gespielt wird, also in richtiger Geschwindigkeit und mit richtiger Akzentuierung innerhalb der einzelnen Schichten, wird sie nach einer gewissen Zeit ‚abheben‘ wie ein Flugzeug nach dem Start: Das rhythmische Geschehen, da zu komplex um im Einzelnen verfolgt zu werden, geht in ein Schweben über“, erklärte Ligeti.

Doch ein behaglicher „Flow“ ist hier natürlich nicht intendiert. Immer wieder unterbrechen schreiende Dissonanzen, Trillerpfeifen oder brutale Schläge den Fluss und erwecken ein Klima der Panik und Angst, das „Ligetis eigene Erfahrungen im Kontext von Krieg und Diktatur widerzuspiegeln scheint“, wie der Musikwissenschaftler Dirk Wieschollek schreibt.

„Das beste Stück echter Filmmusik“
Arnold Schönberg: Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene

Arnold Schönbergs starkes bildnerisches Interesse führte ihn auch zu Versuchen als Maler und Zeichner. „Visionen“ und „Blicke“ bestimmten seine malerische Ausdrucksform einer halluzinatorischen Selbsterkenntnis. Den Parametern Farbe und Licht erkannte er in seinem Bühnenwerk Die glückliche Hand aus dem Jahr 1913 die gleiche Wichtigkeit wie Tönen zu. Im synästhetischen Konzept und der Faszination durch die Farbpsychologie traf Schönberg einen Geistesverwandten in Wassily Kandinsky. Atonale Musik und abstrakte Kunst entsprachen sich.

Von der Leinwand der Bilder auf die Leinwand des Kinos fand Schönberg 1929 mit der Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene. Anlass war das Jubiläum des Verlags Heinrichshofen, der Kompositionen für Lichtspieltheater anregte. Anders als etwa Dmitri Schostakowitsch, der in jungen Jahren als Stummfilmpianist arbeitete, hatte Schönberg keine Erfahrung mit dem Medium Film, war aber an dessen neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten interessiert. Die Begleitungsmusik, seine zweite zwölftönige Orchesterpartitur, folgt mit den Stationen „Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe“ einer imaginären dramatischen Handlung. Möglicherweise hatte sich Schönberg von einem Besuch des erfolgreichen Skandalstücks Cyankali von Friedrich Wolf anregen lassen, der im gleichen Jahr das Thema Abtreibung auf der Theaterbühne behandelte. Aus Notizen Schönbergs und seiner Frau Gertrud lässt sich ein Zusammenhang herstellen, den der Komponist aber nie bestätigte.

Nach einer Aufführung mit dem Frankfurter Rundfunk-Symphonie-Orchester unter der Leitung von Hans Rosbaud im April 1930 fand die öffentliche Uraufführung im November 1930 an der Berliner Krolloper statt. Es dirigierte Otto Klemperer, der zur Visualisierung der Partitur eine Zusammenarbeit mit dem Bauhaus-Künstler László Moholy-Nagy vorgeschlagen hatte. Doch nach den negativen Erfahrungen mit Oskar Schlemmers Ausstattung für Die glückliche Hand war Schönberg skeptisch, und so blieb es bei einer rein konzertanten Präsentation. Als eines der zugänglichsten Zwölftonwerke Schönbergs wurde die Begleitungsmusik nach der erfolgreichen Premiere auch in anderen Ländern nachgespielt. Igor Strawinsky, der der Uraufführung beiwohnte, nannte sie „das beste Stück echter Filmmusik, das jemals geschrieben wurde“. Eine Karriere als Filmmusikkomponist hätte Schönberg nach seiner späteren Emigration nach Hollywood offen gestanden – doch ein Angebot von Metro-Goldwyn-Mayer schlug er aus. (Man darf wohl auch Zweifel hegen, dass er sich mit den künstlerischen Bedingungen und der Unterordnung der Musik unter die bewegten Bilder langfristig hätte anfreunden können…)

Gaukler und Wahrsager
Unsuk Chin: Gougalōn

Die hochkomplexe Musik von Unsuk Chin – einer Schülerin György Ligetis – ist gesättigt mit philosophischen und theatralen Kontexten, gleichzeitig aber auch von einer betörenden Sinnlichkeit. Und dem Ohr offenbaren sich wahre Klangfarbenexplosionen. Diese Freude an Farben ist es vielleicht, sagt Chin, die sie am ehesten mit der Kultur ihres Heimatlandes Korea verbindet. Doch mit traditioneller koreanischer Musik kam sie als Kind eines presbyterianischen Pfarrers kaum in Berührung. Und vergeblich sucht man bei ihr vordergründig „asiatische“ Klänge. Im Fall von Gougalōn gibt es allerdings tatsächlich eine Verbindung nach Korea. Es ist nicht der auf den ersten Blick exotisch wirkende Titel – der leitet sich nämlich aus dem Althochdeutschen ab: „falsche Tatsachen vorgaukeln“ steckt darin ebenso wie „Täuschen durch Zauberei“. Die „Gaukler“ begegneten Unsuk Chin in ihrer Kindheit in einem Vorort von Seoul. Es waren Laienmusiker:innen, die von Dorf zu Dorf zogen und das Volk mit simplen Theateraufführungen anlockten. Das Spiel war dabei nur Nebenschauplatz für den Verkauf von mehr oder minder wirkungslosen Medikamenten.

Doch Gougalōn zitiert weder Musik jenes Straßentheaters noch stellen die bildhaften Satzüberschriften eine geschlossene Szene dar. „In diesem Stück ging es mir um eine ‚imaginäre‘ Volksmusik, die stilisiert, in sich gebrochen oder nur scheinbar primitiv ist“, erklärt Chin. Gougalōn wurde 2009 durch das Ensemble Modern in Berlin uraufgeführt. Die definitive Fassung hob das Ensemble intercontemporain 2012 in Paris aus der Taufe.

Die beiden Violinen eröffnen das Stück, aufspielend zum Tanz; ihre „rutschenden“ Glissando-Akkorde erinnern ebenso wie einige Schlaginstrumente vage an asiatische Klangwelten. Das „Lamento der kahlen Sängerin“ mit den Klagerufen der Violinen und der gedämpften Posaune suggeriert eine gespenstische Szenerie. Bizarr scheppern dazu die mit einer Kreditkarte angeschlagenen Saiten des präparierten Klaviers. Eine virtuose Schlagwerketüde gibt zunächst der dritte Satz ab – als ob das „falsche Gebiss“ des „grinsenden Wahrsagers“ klapperte. Wieder jammert die Posaune dazwischen. Ihr ausgesprochen erzählerischer Gestus führt in den Dialog zwischen „Flaschen und Büchsen“. Im „Tanz um die Baracke“ erproben die Streicher allerlei unterschiedliche Artikulationsarten. Harte Schläge auf die Griffbretter und knallende Bassklänge des präparierten Klaviers schwören das Ensemble ritualhaft auf die furiose „Jagd nach dem Zopf des Quacksalbers“ ein. Sogar eine Lederpeitsche saust nieder. Doch plötzlich kommt die fieberhafte Raserei zum Stillstand – der Spuk ist vorbei, die Gestalten sinken zurück in eine Traumwelt.


Dr. Kerstin Schüssler-Bach arbeitete als Opern- und Konzertdramaturgin in Köln, Essen und Hamburg und hatte Lehraufträge an der Musikhochschule Hamburg und der Universität Köln inne. Beim Musikverlag Boosey & Hawkes in Berlin ist sie als Head of Composer Management tätig. Sie schreibt regelmäßig für die Berliner Philharmoniker, die Elbphilharmonie Hamburg, das Lucerne Festival und das Gewandhausorchester Leipzig. 2022 erschien ihre Monographie über die Dirigentin Simone Young.

Unsuk Chin (© Priska Ketterer)

Musical Settings

In what Walter Benjamin famously called “the age of mechanical reproduction” it is easy to lose sight of the specific performers and physical settings for which it was composed. Mozart’s C-minor Wind Serenade was designed to be heard in the open air, while György Ligeti intended his Piano Concerto to be performed in the cloistered environment of a modern concert hall. The dramatic impulse behind Schoenberg’s Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene and Unsuk Chin’s Gougalōn reflects their associations with similarly contrasting venues and modes of performance: movie theaters and city streets, respectively. In juxtaposing these four pieces on tonight’s program, Matthias Pintscher and the Boulez Ensemble invite us to consider not only how the music sounds but also the places and purposes for which it was written.

Essay by Harry Haskell

Musical Settings
The Boulez Ensemble Plays Mozart, Schoenberg, Ligeti, and Chin

Harry Haskell


In what Walter Benjamin famously called “the age of mechanical reproduction,” when music comes to us over a variety of disembodied platforms, it is easy to lose sight of the specific performers and physical settings for which it was composed. Mozart’s C-minor Wind Serenade is an atypically weighty specimen of “outdoor music”—music designed to be heard in the open air, often while other activities are going on—while György Ligeti intended his Piano Concerto to be performed in the cloistered environment of a modern concert hall. The dramatic impulse behind Schoenberg’s Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene (Accompaniment to a Cinematographic Scene) and Unsuk Chin’s Gougalōn reflects their associations with similarly contrasting venues and modes of performance: movie theaters and city streets, respectively. In juxtaposing these four pieces on tonight’s program, Matthias Pintscher and the Boulez Ensemble invite us to consider not only how the music sounds but also the places and purposes for which it was written.

Night Music for an Emperor

By 1780, Mozart had grown restive in his post as court composer to Prince-Archbishop Hieronymus Colloredo in his native Salzburg. The prelate’s insatiable demands, and his failure to appreciate Mozart’s accomplishments in the realm of secular music, impelled the ambitious young composer to seek out greener pastures. The following year he severed his ties to the ecclesiastical court and moved to Vienna, where he spent the remaining decade of his life as a freelance composer, pianist, and teacher. Discovering that the Viennese were willing to pay handsomely for the privilege of attending his subscription concerts, he worked day and night to keep the programs stocked with a fresh supply of solo piano music. At the same time, he continued to turn out one masterpiece after another in a wide variety of other genres, from chamber music and sacred choral works to symphonies and operas.

In July 1782, Mozart informed his father in Salzburg that he had “had to compose a Nacht Musique in a great hurry.” Although he did not say who had commissioned the work, the Serenade, or “Night Music,” in C minor was likely written for the wind octet that Emperor Joseph II had recently created to provide dinner-table music and entertainment for outdoor events at court. The choice of C minor—a tonality that one 19th-century theorist associated with the “languishing, longing, sighing of the love-sick soul”—enhances the agitated, passionate character of the opening Allegro. (Mozart later repurposed K. 388 as a string quintet, prompting his biographer Hermann Abert to speculate that he had come to view this music as “far too serious” for a lightweight serenade.) The placid triple-time gait of the major-key Andante is disrupted by off-beat accents and hiccupping figures. Mozart flaunts his contrapuntal prowess in the minuet, which is shot through with canonic imitation (the central trio section is a double canon in which the voices “answer” each other in mirror images), and the Serenade climaxes in a vivacious theme-and-variations Allegro that ends in a burst of C-major sunshine.

“Music to No Film”

The 17 years that the exiled Arnold Schoenberg spent in Hollywood at the end of his life have been the subject of many studies, scholarly and otherwise, including a recent opera by Tod Machover. Although the redoubtable father of twelve-tone music taught many of Tinseltown’s leading composers, his own relationship with the film industry was mostly hands-off. Like many composers of his generation, Schoenberg was intrigued by the cinematic medium and flirted with various still-born film projects throughout his career. Most famously, MGM producer Irving Thalberg approached him about scoring the studio’s film version of Pearl S. Buck’s novel The Good Earth, but the project foundered over the composer’s demands for control over the soundtrack and an astronomical $50,000 fee. Nevertheless, Schoenberg recognized the talking film as “a new and independent instrument for a novel artistic expression,” a kind of 20th-century gesamtkunstwerk, and continued to hope that the right project would turn up.

Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene, subtitled “Threatening Danger, Fear, Catastrophe,” was not intended for a specific film but rather as generic “mood music” of the sort that could be inserted ad lib according to the demands of the plot. This silent-era practice was already obsolete by the time the work was written in 1929–30, and indeed Schoenberg’s aim seems to have been to demonstrate the potential of challenging dodecaphonic music in an art form that already showed signs of being wedded to conservative, crowd-pleasing musical idioms. Otto Klemperer, who conducted the 1930 concert premiere in Berlin, suggested that what Schoenberg called his “music to no film” be programed in tandem with an abstract movie by an artist like László Moholy-Nagy. Although that tantalizing prospect never materialized, Schoenberg’s short score stands on its own as a minor but effective appendage to his early psychodramas Verklärte Nacht, Erwartung, and Die glückliche Hand.

An Artistic Credo

György Ligeti came of age artistically during the period of Nazi and Stalinist repression in his native Hungary. In the years immediately following World War II, he dutifully produced his quota of patriotic choral works and other ideologically acceptable music, while keeping his more stylistically advanced scores safely stowed away. After emigrating to the West in 1956, he discovered his distinctive voice in a string of highly influential works, ranging from the cloudlike orchestral tone clusters of Atmosphères to the absurdist operatic extravaganza Le Grand macabre. By the time Ligeti returned to writing solo piano music in the mid-1980s, after a hiatus of more than two decades, he was determined to reformulate his musical vocabulary and technique. The 18 Études he wrote between 1985 and 2001 were designed as exercises to that end. As Ligeti explained, “They proceed from a very simple core idea, and lead from simplicity to great complexity: they behave like growing organisms.”

Much the same can be said of Ligeti’s bravura five-movement Piano Concerto of 1985–88, which overlaps with the etudes to a considerable extent. The exuberantly hyperkinetic first movement, for instance, grew out of his Etude No. 1, a frenetic study in relentlessly pounding polyrhythms, while the wailing chromatic figures of the slow movement echo Etude No. 6. The latter’s melancholy motif recurs in the Vivace cantabile, this time enmeshed in spitfire passagework reminiscent of Conlon Nancarrow’s fiendishly difficult Studies for Player Piano. The fragmented figurations of the fourth movement were inspired by computer-generated fractals—in Ligeti’s words, “reiterating the same formula, the same succession always in different shapes”—while the finale recalls the multilayered rhythmic complexity of the beginning. “I present my artistic credo in the Piano Concerto,” Ligeti wrote in a note to the score, declaring his independence from both “criteria of the traditional avant-garde” and “fashionable postmodernism.”

“Imaginary Folk Music”

Born in Seoul, Unsuk Chin has made her home in Germany since the mid-1980s, when she moved to Hamburg to study with Ligeti. The Hungarian composer’s adventurous exploration of rhythms, harmonies, and especially textures left a strong stamp on what the musicologist Paul Griffiths calls Chin’s “gleaming soundscapes,” with their iridescent colors and dancing contrapuntal lines. She has a flair for whimsy, as well, as evidenced by the zany juxtapositions of her opera Alice in Wonderland and the linguistic dislocations of the song cycle Acrostic Wordplay. Composed in 2009–11, Gougalōn—a medieval antecedent of the German verb gaukeln, meaning to juggle or perform tricks—evokes the free-wheeling street theater of Chin’s childhood. More particularly, the music was inspired by a troupe of itinerant entertainers whose impromptu performances the future composer enjoyed in a suburb of the South Korean capital.

“These amateur musicians and actors traveled from village to village in order to foist self-made medicines—which were ineffective at best—on the people,” Chin explains. “To lure the villagers, they put on a play with singing, dancing, and various stunts… [This] was practically the only entertainment in an everyday life marked by poverty and repressive structures… Therefore, the whole village was present at this ‘big event,’ a circumstance from which others also desired to profit: fortune-tellers, mountebanks, and traveling hawkers. Among these were also wig dealers from whom young girls could earn some money for their families by sacrificing their pigtails. Gougalōn does not refer directly to the dilettante and shabby music of that street theater. The memories described above merely provide a framework, just as the movement headings are not intended to be illustrative. This piece is about an ‘imaginary folk music’ that is stylized, broken within itself, and only apparently primitive.”


A former performing arts editor for Yale University Press, Harry Haskell is a program annotator for Carnegie Hall in New York, the Brighton Festival in England, and other venues, and the author of several books, including The Early Music Revival: A History, winner of the 2014 Prix des Muses awarded by the Fondation Singer-Polignac.

Musical Settings
The Boulez Ensemble Plays Mozart, Schoenberg, Ligeti, and Chin

Harry Haskell


In what Walter Benjamin famously called “the age of mechanical reproduction,” when music comes to us over a variety of disembodied platforms, it is easy to lose sight of the specific performers and physical settings for which it was composed. Mozart’s C-minor Wind Serenade is an atypically weighty specimen of “outdoor music”—music designed to be heard in the open air, often while other activities are going on—while György Ligeti intended his Piano Concerto to be performed in the cloistered environment of a modern concert hall. The dramatic impulse behind Schoenberg’s Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene (Accompaniment to a Cinematographic Scene) and Unsuk Chin’s Gougalōn reflects their associations with similarly contrasting venues and modes of performance: movie theaters and city streets, respectively. In juxtaposing these four pieces on tonight’s program, Matthias Pintscher and the Boulez Ensemble invite us to consider not only how the music sounds but also the places and purposes for which it was written.

Night Music for an Emperor

By 1780, Mozart had grown restive in his post as court composer to Prince-Archbishop Hieronymus Colloredo in his native Salzburg. The prelate’s insatiable demands, and his failure to appreciate Mozart’s accomplishments in the realm of secular music, impelled the ambitious young composer to seek out greener pastures. The following year he severed his ties to the ecclesiastical court and moved to Vienna, where he spent the remaining decade of his life as a freelance composer, pianist, and teacher. Discovering that the Viennese were willing to pay handsomely for the privilege of attending his subscription concerts, he worked day and night to keep the programs stocked with a fresh supply of solo piano music. At the same time, he continued to turn out one masterpiece after another in a wide variety of other genres, from chamber music and sacred choral works to symphonies and operas.

In July 1782, Mozart informed his father in Salzburg that he had “had to compose a Nacht Musique in a great hurry.” Although he did not say who had commissioned the work, the Serenade, or “Night Music,” in C minor was likely written for the wind octet that Emperor Joseph II had recently created to provide dinner-table music and entertainment for outdoor events at court. The choice of C minor—a tonality that one 19th-century theorist associated with the “languishing, longing, sighing of the love-sick soul”—enhances the agitated, passionate character of the opening Allegro. (Mozart later repurposed K. 388 as a string quintet, prompting his biographer Hermann Abert to speculate that he had come to view this music as “far too serious” for a lightweight serenade.) The placid triple-time gait of the major-key Andante is disrupted by off-beat accents and hiccupping figures. Mozart flaunts his contrapuntal prowess in the minuet, which is shot through with canonic imitation (the central trio section is a double canon in which the voices “answer” each other in mirror images), and the Serenade climaxes in a vivacious theme-and-variations Allegro that ends in a burst of C-major sunshine.

“Music to No Film”

The 17 years that the exiled Arnold Schoenberg spent in Hollywood at the end of his life have been the subject of many studies, scholarly and otherwise, including a recent opera by Tod Machover. Although the redoubtable father of twelve-tone music taught many of Tinseltown’s leading composers, his own relationship with the film industry was mostly hands-off. Like many composers of his generation, Schoenberg was intrigued by the cinematic medium and flirted with various still-born film projects throughout his career. Most famously, MGM producer Irving Thalberg approached him about scoring the studio’s film version of Pearl S. Buck’s novel The Good Earth, but the project foundered over the composer’s demands for control over the soundtrack and an astronomical $50,000 fee. Nevertheless, Schoenberg recognized the talking film as “a new and independent instrument for a novel artistic expression,” a kind of 20th-century gesamtkunstwerk, and continued to hope that the right project would turn up.

Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene, subtitled “Threatening Danger, Fear, Catastrophe,” was not intended for a specific film but rather as generic “mood music” of the sort that could be inserted ad lib according to the demands of the plot. This silent-era practice was already obsolete by the time the work was written in 1929–30, and indeed Schoenberg’s aim seems to have been to demonstrate the potential of challenging dodecaphonic music in an art form that already showed signs of being wedded to conservative, crowd-pleasing musical idioms. Otto Klemperer, who conducted the 1930 concert premiere in Berlin, suggested that what Schoenberg called his “music to no film” be programed in tandem with an abstract movie by an artist like László Moholy-Nagy. Although that tantalizing prospect never materialized, Schoenberg’s short score stands on its own as a minor but effective appendage to his early psychodramas Verklärte Nacht, Erwartung, and Die glückliche Hand.

An Artistic Credo

György Ligeti came of age artistically during the period of Nazi and Stalinist repression in his native Hungary. In the years immediately following World War II, he dutifully produced his quota of patriotic choral works and other ideologically acceptable music, while keeping his more stylistically advanced scores safely stowed away. After emigrating to the West in 1956, he discovered his distinctive voice in a string of highly influential works, ranging from the cloudlike orchestral tone clusters of Atmosphères to the absurdist operatic extravaganza Le Grand macabre. By the time Ligeti returned to writing solo piano music in the mid-1980s, after a hiatus of more than two decades, he was determined to reformulate his musical vocabulary and technique. The 18 Études he wrote between 1985 and 2001 were designed as exercises to that end. As Ligeti explained, “They proceed from a very simple core idea, and lead from simplicity to great complexity: they behave like growing organisms.”

Much the same can be said of Ligeti’s bravura five-movement Piano Concerto of 1985–88, which overlaps with the etudes to a considerable extent. The exuberantly hyperkinetic first movement, for instance, grew out of his Etude No. 1, a frenetic study in relentlessly pounding polyrhythms, while the wailing chromatic figures of the slow movement echo Etude No. 6. The latter’s melancholy motif recurs in the Vivace cantabile, this time enmeshed in spitfire passagework reminiscent of Conlon Nancarrow’s fiendishly difficult Studies for Player Piano. The fragmented figurations of the fourth movement were inspired by computer-generated fractals—in Ligeti’s words, “reiterating the same formula, the same succession always in different shapes”—while the finale recalls the multilayered rhythmic complexity of the beginning. “I present my artistic credo in the Piano Concerto,” Ligeti wrote in a note to the score, declaring his independence from both “criteria of the traditional avant-garde” and “fashionable postmodernism.”

“Imaginary Folk Music”

Born in Seoul, Unsuk Chin has made her home in Germany since the mid-1980s, when she moved to Hamburg to study with Ligeti. The Hungarian composer’s adventurous exploration of rhythms, harmonies, and especially textures left a strong stamp on what the musicologist Paul Griffiths calls Chin’s “gleaming soundscapes,” with their iridescent colors and dancing contrapuntal lines. She has a flair for whimsy, as well, as evidenced by the zany juxtapositions of her opera Alice in Wonderland and the linguistic dislocations of the song cycle Acrostic Wordplay. Composed in 2009–11, Gougalōn—a medieval antecedent of the German verb gaukeln, meaning to juggle or perform tricks—evokes the free-wheeling street theater of Chin’s childhood. More particularly, the music was inspired by a troupe of itinerant entertainers whose impromptu performances the future composer enjoyed in a suburb of the South Korean capital.

“These amateur musicians and actors traveled from village to village in order to foist self-made medicines—which were ineffective at best—on the people,” Chin explains. “To lure the villagers, they put on a play with singing, dancing, and various stunts… [This] was practically the only entertainment in an everyday life marked by poverty and repressive structures… Therefore, the whole village was present at this ‘big event,’ a circumstance from which others also desired to profit: fortune-tellers, mountebanks, and traveling hawkers. Among these were also wig dealers from whom young girls could earn some money for their families by sacrificing their pigtails. Gougalōn does not refer directly to the dilettante and shabby music of that street theater. The memories described above merely provide a framework, just as the movement headings are not intended to be illustrative. This piece is about an ‘imaginary folk music’ that is stylized, broken within itself, and only apparently primitive.”


A former performing arts editor for Yale University Press, Harry Haskell is a program annotator for Carnegie Hall in New York, the Brighton Festival in England, and other venues, and the author of several books, including The Early Music Revival: A History, winner of the 2014 Prix des Muses awarded by the Fondation Singer-Polignac.

Die Künstler:innen

Matthias Pintscher
Musikalische Leitung

Matthias Pintscher erhielt seine musikalische Ausbildung zunächst als Dirigent bei Peter Eötvös, später konzentrierte er sich auf Komposition, heute widmet er sich zu gleichen Teilen beiden Aspekten seiner Tätigkeit. Seine Werke wurden vom Chicago Symphony Orchestra, dem New York Philharmonic, den Berliner Philharmonikern, dem Orchestre de Paris, dem Boulez Ensemble und vielen anderen aufgeführt. Im Pierre Boulez Saal erlebten NUR für Klavier und Ensemble (2019) sowie beyond II (bridge over troubled water) (im Juli 2020 im Rahmen des digitalen Festival of New Music) ihre Premieren. Von 2013 bis zum Ende der Spielzeit 2022/23 prägte er als musikalischer Leiter eine Ära des von Pierre Boulez gegründeten Ensemble intercontemporain, das 2022 mit dem renommierten Polar Music Prize ausgezeichnet wurde. Zur Saison 2024/25 übernimmt Matthias Pintscher die Position des Music Director der Kansas City Symphony. Seit 2020 ist er außerdem Creative Partner des Cincinnati Symphony Orchestra, wo er in dieser Saison u.a. die Uraufführung eines neuen Werkes des Komponisten inti figgis-vizueta leitet. Zuvor wirkte er u.a. als Artist in Association des BBC Scottish Symphony Orchestra, Creative Chair des Tonhalle-Orchesters Zürich, Artist in Residence des Los Angeles Chamber Orchestra sowie von 2016 bis 2018 als Principal Conductor des Lucerne Festival Academy Orchestra. Seit 2014 unterrichtet er Komposition an der Juilliard School New York.

November 2023


Julia Hamos
Klavier

Julia Hamos absolvierte ihr Klavierstudium bei Christopher Elton an der Royal Academy of Music in London, bei Richard Goode an der Mannes School of Music in New York und bei Sir András Schiff an der Barenboim-Said Akademie. Derzeit vervollständigt sie ihre Ausbildung an der Kronberg Academy. Ausgezeichnet mit dem Sterndale Bennett Prize der Royal Academy of Music und dem Fidelman Award der Mannes School, gab sie Konzerte u.a. im Pierre Boulez Saal, in der Londoner Wigmore Hall, im Beethovenhaus Bonn, am New Yorker Lincoln Center, am Kennedy Center in Washington und an der Liszt-Akademie in Budapest. Darüber hinaus gastierte sie beim polnischen Krzyżowa Music Festival, beim Trasimeno Music Festival in Italien, bei IMS Prussia Cove in Cornwall und beim Verbier Festival. Interdisziplinäre Projekte realisierte sie mit der Martha Graham Dance Company, dem New English Ballet Theatre und der Theaterabteilung der New Yorker New School.

November 2023
 


Boulez Ensemble

Das von Daniel Barenboim gegründete Boulez Ensemble hat seine künstlerische Heimat im Pierre Boulez Saal in der Barenboim-Said Akademie. Hier trat das Ensemble anlässlich des Richtfestes des Gebäudes im Juni 2015 erstmals öffentlich auf. Das internationale Debüt folgte im Januar 2017 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung für Pierre Boulez in der Zankel Hall an der Carnegie Hall in New York. Seit der Eröffnung des Pierre Boulez Saals im März 2017 gestaltet das Ensemble hier eine eigene Konzertreihe, die bisher Auftritte mit Künstler:innen wie Oksana Lyniv, Zubin Mehta, Sir Antonio Pappano, Matthias Pintscher, Sir Simon Rattle, François-Xavier Roth, Lahav Shani, Giedrė Šlekytė, Jörg Widmann, Emmanuel Pahud, Mojca Erdmann, Christiane Karg, Magdalena Kožená und vielen anderen beinhaltete. Als wandlungsfähiger Klangkörper ohne feste Besetzung besteht das Boulez Ensemble hauptsächlich aus Musiker:innen der Staatskapelle Berlin und des West-Eastern Divan Orchestra sowie Lehrenden und Studierenden der Barenboim-Said Akademie und internationalen Gastkünstler:innen, die für jedes Projekt individuell zusammenkommen. Seine künstlerische Identität gewinnt das Ensemble aus seinen Konzertprogrammen, die Repertoire der Klassik und Romantik, Meisterwerke des 20. Jahrhunderts und Musik unserer Zeit miteinander kombinieren und gleichzeitig Duo- und Triokompositionen größer besetzten Werken gegenüberstellen. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet dabei das Schaffen von Pierre Boulez. Regelmäßig gestaltet das Boulez Ensemble außerdem Uraufführungen von Auftragswerken; in den vergangenen Jahren waren neue Kompositionen von Benjamin Attahir, Johannes Boris Borowski, Luca Francesconi, Matthias Pintscher, Aribert Reimann, Kareem Roustom, Vladimir Tarnopolski und Jörg Widmann zu hören. Das Ergebnis dieser Programmgestaltung ist ein klingendes Kaleidoskop der Stile, in dem das Neben- und Miteinander unterschiedlicher Werke neue Hörperspektiven eröffnet. Dieser Geist der musikalischen Entdeckungsfreude und des künstlerischen Dialogs geht direkt auf die Inspiration des Namensgebers, des Komponisten, Dirigenten und Visionärs Pierre Boulez zurück.

November 2023

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