Thomas Guggeis Musikalische Leitung
Michael Barenboim Violine
Karim Said Klavier
Boulez Ensemble
György Ligeti
Sechs Bagatellen für Bläserquintett
Ludwig van Beethoven
Oktett für Blasinstrumente Es-Dur op. 103
Arnold Schönberg
Sechs kleine Klavierstücke op. 19
Anton Webern
Konzert für neun Instrumente op. 24
Alban Berg
Kammerkonzert für Klavier, Violine und 13 Blasinstrumente
György Ligeti (1923–2006)
Sechs Bagatellen für Bläserquintett (1953)
I. Allegro con spirito
II. Rubato. Lamentoso
III. Allegro grazioso
IV. Presto ruvido
V. Adagio. Mesto (Béla Bartók in memoriam)
VI. Molto vivace. Capriccioso
Claudia Stein Flöte
Mariano Esteban Barco Oboe
Matthias Glander Klarinette
Ingo Reuter Fagott
Sebastian Posch Horn
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Oktett für Blasinstrumente Es-Dur op. 103 (1792)
I. Allegro
II. Andante
III. Menuetto
IV. Finale. Presto
Mariano Esteban Barco, Sofía Zamora Oboe
Matthias Glander, Alexandra Kehrle Klarinette
Ingo Reuter, Aziz Baziki Fagott
Ignacio García, Sebastian Posch Horn
Pause
Arnold Schönberg (1874–1951)
Sechs kleine Klavierstücke op. 19 (1911)
I. Leicht, zart
II. Langsam
III. Sehr langsame Viertel
IV. Rasch, aber leicht
V. Etwas rasch
VI. Sehr langsam
Karim Said Klavier
Anton Webern (1883–1945)
Konzert für neun Instrumente op. 24 (1931–34)
I. Etwas lebhaft
II. Sehr langsam
III. Sehr rasch
Thomas Guggeis Musikalische Leitung
Claudia Stein Flöte
Mariano Esteban Barco Oboe
Matthias Glander Klarinette
Ignacio García Horn
Alper Çoker Trompete
Filipe Alves Posaune
Katia Abdel Kader Violine
Michael Barenboim Viola
Karim Said Klavier
Alban Berg (1885–1935)
Kammerkonzert für Klavier, Violine und 13 Blasinstrumente (1923–25)
I. Thema scherzoso con variazioni –
II. Adagio –
III. Rondo ritmico con introduzione
Thomas Guggeis Musikalische Leitung
Michael Barenboim Violine
Karim Said Klavier
Leonid Grudin Piccoloflöte, Flöte
Claudia Stein Flöte
Mariano Esteban Barco Oboe
Sofía Zamora Englischhorn
Alexandra Kehrle Es-Klarinette
Matthias Glander A-Klarinette
Alexander Glücksmann Bassklarinette
Ingo Reuter Fagott
Aziz Baziki Kontrafagott
Alper Çoker Trompete
Ignacio García, Sebastian Posch Horn
Filipe Alves Posaune
György Ligeti in Darmstadt, 1976
Unter der Leitung von Thomas Guggeis präsentiert das Boulez Ensemble Musik der Zweiten Wiener Schule von Arnold Schönberg und seinen Schülern Alban Berg und Anton Weber sowie Werke von Ludwig van Beethoven und György Ligeti.
Essay von Wolfgang Stähr
Freunde und Feinde
Neue Musik von Beethoven bis Ligeti
Wolfgang Stähr
Aus dem Nichts
Wenn in einem Land nur eine Partei regiert und alles beherrscht und selbst noch bestimmt, welche Noten geschrieben werden dürfen und welche nicht, dann haben die Komponist:innen keine andere Wahl als: zu gehorchen. Oder zu verschwinden, in die Anonymität oder ins Ausland. György Ligeti lebte in Ungarn wie gefangen in einem bösen Märchen. „Sobald die kommunistische Diktatur 1948 etabliert war, wurde alle ‚moderne Kunst‘ strikt verboten“, erklärte er. Aber im Westen wollten ihm viele Leute nicht glauben, dass sogar Don Quixote und Winnie-the-Pooh auf dem Index standen, Kirchenmusik sowieso („klerikal-reaktionär“) oder auch die Impressionisten in der Malerei und in der Musik. Die Wiener Schönberg-Schule wurde als „formalistischer Irrweg“ aus den Programmen verbannt. Selbst Béla Bartók, der Prophet der modernen ungarischen Musik, galt nicht viel in seinem sowjetisch okkupierten Vaterland, allenfalls seine Volksliedbearbeitungen passten ins Bild.
Ligeti fand sich in „völliger künstlerischer Isolation“ wieder. Der Empfang westlicher Radiosender war gezielten technischen Störungen ausgesetzt. Trotzdem hörte er die Nachtprogramme aus Köln und die „musica viva“ aus München, wenngleich verzerrt und fragmentiert: „Nur die hohen Töne der Piccoloflöte und des Glockenspiels durchdrangen das Rauschen.“ Ligeti widmete sich Volksliedstudien in Siebenbürgen, wie es von einem sozialistischen Künstler erwartet wurde, bemühte sich um „gemeinverständliche“ Werke im Sinne der staatlichen Kunstdoktrin. Aber er fühlte sich lebendig begraben, aussichtslos abgeschottet von den Neuerungen und Neuigkeiten der internationalen Avantgarde. „1951 begann ich mit einfachen Strukturen von Rhythmen und Klängen zu experimentieren, um sozusagen eine neue Musik aus dem Nichts zu bauen“, erzählte er. „Ich fragte mich: Was kann ich mit einer einzelnen Note tun, was mit einem Intervall, was mit zwei Intervallen, was mit bestimmten rhythmischen Verhältnissen?“ Ligeti komponierte elf Klavierstücke unter dem historisierenden Titel Musica ricercata, die einer strikten Selbstkontrolle unterlagen – im ersten Stück arbeitet Ligeti nur mit einem Ton plus einem zweiten, im zweiten mit zwei Tönen plus einem dritten bis zur vollen chromatischen Zwölftönigkeit im letzten Satz – und doch gerade deshalb die namensgebende Freiheit des Suchens und Ausprobierens eröffneten.
Als ihn 1953 das ungarische Jeney Quintett um ein neues Werk bat, instrumentierte Ligeti sechs dieser elf Klavierstücke für die Besetzung mit Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott und nannte sie Bagatellen. Man sollte sie jedoch nicht unterschätzen, zumal auch Beethoven (für Klavier) und Webern (für Streichquartett) kurze Sätze unter diesem Namen veröffentlicht haben, die alles sind, bloß keine Kleinigkeit. Ligeti charakterisierte seine Bläser-Bagatellen als „imaginär-folkloristisch“, da sie mit Elementen der ungarischen, banatrumänischen, bulgarischen und serbischen Volksmusik spielen, mit Rubato-Melodien, ständig wechselnden Metren, widerborstigen Rhythmen, ohne je der ethnologischen Seriosität des großen Béla Bartók zu folgen. Ihm ist, „in memoriam“, das fünfte Stück gewidmet, eine Bagatelle von bitterem Ernst und scharfkantiger Faktur, mit harschen Akkordschlägen wie Trauerglocken in der Sterbestunde. Ohnehin legte es Ligeti darauf an, die regierende Geschmackspolizei zu provozieren, und betätigte sich als bekennender „Anti-Harmoniker“, insbesondere in der sechsten Bagatelle: „Im kommunistischen Ungarn waren Dissonanzen verboten und kleine Sekunden unstatthaft, weil sie als antisozialistisch galten.“ Folgerichtig durften bei der verspäteten Uraufführung im Herbst 1956 nur fünf Bagatellen erklingen: Die sechste wurde gestrichen. Für Ligeti kam dieser Abend („Im Publikum herrschte Ratlosigkeit, ob einem das gefallen kann und ob man klatschen darf“) einer Abschiedsvorstellung gleich. Mit seinen experimentierfreudigen, grellen, prallen, bissigen und burlesken Stücken, die alle Traditionen wie ein Kostüm abwerfen oder wie eine Schale aufbrechen, war er fehl am Platz in seiner fremd gewordenen Heimat. Nach dem brutal niedergeschlagenen Volksaufstand gegen die Kommunisten flüchtete Ligeti noch im selben Jahr 1956 aus Ungarn über die streng bewachte Grenze nach Wien und weiter nach Köln, dem Ort, an dem sich das Rauschen aus dem Radio in neue Musik verwandelte.
Serenade mit Mutproben
Kaiserliche Harmonie – hinter diesem wohltönenden Wort verbirgt sich nicht etwa fernöstliche Weisheitslehre, sondern ein Bläseroktett der Wiener Hofmusik, das der habsburgische Kaiser Joseph II. 1782 ins Leben rief: je zwei Oboen, Klarinetten, Hörner und Fagotte. Diese Besetzung galt seinerzeit als Inbegriff der „Harmonie“, und jeder dachte sofort an ein solches Oktett aus vier Bläserpaaren, wenn von Harmoniemusik die Rede war. Wie der Kaiser in Wien gönnte sich auch dessen jüngster Bruder Maximilian Franz, Kölner Kurfürst mit Residenz in Bonn, seine eigene Harmonie. „Selten wird man eine Musik von der Art finden, die so gut zusammenstimmt, so gut sich versteht, und besonders im Tragen des Tons einen so hohen Grad von Wahrheit und Vollkommenheit erreicht hätte, als diese“, schwärmte ein zeitgenössischer Musikkenner, nachdem er das kurfürstliche Bläseroktett erstmals erleben durfte. Und für eben dieses vortreffliche Ensemble erdachte Ludwig van Beethoven im Jahr 1792, in seinen letzten Bonner Monaten, eine „Parthia dans un Concert“, wie er das Werk überschrieb: ein Oktett in Es-Dur, das sich vieldeutig zwischen Serenade, viersätziger Symphonie, Freiluftmusik, Genrestück und dramatischem Zwischenspiel bewegt. Und das die Bläser tatsächlich wie in einem Konzert virtuos herausfordert: mit solistischen Auftritten, die an Mutproben erinnern. In seiner neuen Wahlheimat Wien veröffentlichte Beethoven das Bläseroktett nicht – es erschien erst nach seinem Tod unter der irreführend hohen Opuszahl 103. (Eine Neufassung ganz ohne Bläser brachte er 1796 als „Grand Quintetto“ op. 4 im Wiener Verlagshaus Artaria heraus: ein Streichquintett.)
Man muss Zeit haben
An einem Tag im Februar 1911 zeichnete Arnold Schönberg fünf kurze und kürzeste Klavierstücke auf, die wie ein Nachsinnen über Musik klingen, ein weltabgewandtes, nicht-öffentliches Herantasten an das Klavierspiel in allen nur denkbaren Arten des Anschlags, des Ausdrucks, des Klanges und der Klänge. Rhythmische Partikel, filigrane Ornamente, Ostinati, momentane Polyphonie und melodische Fragmente fügen sich zusammen oder reihen sich aneinander, sie bilden diese Stücke aus, diese musikalischen Extrakte, die wie eine radikale Abkehr von der großsprecherischen Epoche des Wilhelminismus erscheinen. Aber sie verschließen sich nicht: Schönberg ersinnt keine hermetischen Kunst-Miniaturen, in seinen Stücken bleibt viel Raum für die Gedanken, sie öffnen sich potentiell ins Unendliche. „Leicht, zart“ steht über dem ersten, „wie ein Hauch“ am Ende des letzten, sechsten Stückes, das Schönberg erst einige Monate später zu Papier brachte und mit den vorhandenen fünf zu seinem Opus 19 vereinte. Dieses sechste Klavierstück komponierte er als Trauermusik auf den Tod Gustav Mahlers, der am 18. Mai in Wien gestorben war. Schönberg hatte am Begräbnis auf dem Grinzinger Friedhof teilgenommen: „Gustav Mahler war ein Heiliger. Jeder, der ihn nur einigermaßen kannte, muß das gefühlt haben.“ Zum Abschied widmete er ihm eine Musik, die buchstäblich alles in der Schwebe lässt: keine Revolution, eine Elevation, ein religiöses Werk, das hinaufstrebt in die „höchste Region der Reinheit“, in jene „reine Luft“, die den Heiligen und Märtyrer Gustav Mahler schon zu seinen Lebzeiten umgeben habe. Schönberg wünschte sich „ausgiebige Pausen“ zwischen den einzelnen Stücken, keinesfalls dürften sie „zu rasch“ vorgetragen werden: „Ich sagte zu Webern: zu meiner Musik muß man Zeit haben. Die ist nichts für Leute, die anderes zu tun haben.“
Ohne jede Frage eine ganze Welt
Der erwähnte Anton Webern, Schönbergs unbeirrbar radikaler Meisterschüler („Wie ein Satz aus dem ‚Vater unser‘. So fasse ich die Kunst auf.“), vollendete im September 1934, nach mehrjähriger, hingebungsvoller Arbeit, sein Konzert op. 24 und widmete es seinem lebenslang verehrten Lehrer und Mentor zum 60. Geburtstag. Er schrieb drei Sätze für drei mal drei Instrumente (Gruppen von Holzbläsern, Blechbläsern und Saiteninstrumenten) und gründete das gesamte Werk auf drei Töne, die er nach den Regeln der Schönbergschen Dodekaphonie drehte und wendete. Aus Grundgestalt, Krebs, Umkehrung und Krebsumkehrung dieser Keimzelle, dieser Dreitonkonstellation, entstand die Zwölftonreihe, die sich ihrerseits in denselben vier Erscheinungsformen entfaltet. „Was bedeutet das alles? – Das Bestreben höchster Zusammenfassung. Es ist alles aus Einem abgeleitet“, betonte Webern. „Immer verschieden und doch immer dasselbe! Wo immer wir das Stück anschneiden – immer muß der Ablauf der Reihe festzustellen sein.“ Der italienische Komponist Luigi Dallapiccola beschrieb es als „ein Werk von unglaublicher Dichte (sechs Minuten Musik) und einmaliger Konzentration“: „Jegliches dekorative Element ist eliminiert“, vermerkte er am 4. September 1935, am Abend der Prager Uraufführung, in seinem Tagebuch. „Ich konnte mir noch keine präzise Vorstellung von dem Werk machen, es ist für mich zu schwer verständlich; es scheint aber ohne jede Frage eine ganze Welt darzustellen. Wir finden uns in der Gegenwart eines Mannes, der ein Maximum an Ideen durch ein Minimum an Worten ausdrückt.“
Aller guten Dinge
Zum engsten Zirkel der Schönberg-Schüler gehörte auch der schwärmerisch veranlagte Alban Berg, Sohn eines Wiener Kunst- und Devotionalienhändlers, der sich in Schönbergs Nähe, in der spannungsgeladenen Atmosphäre, die den unbeugsamen Künstler-Patriarchen umgab, ganz in seinem Element fühlte. Eine Zeitlang trug er sich mit dem Gedanken, seiner Freundschaft zu Schönberg in einer Oper Vincent ein Denkmal zu setzen, einem Drama, das die Beziehung zwischen van Gogh und Paul Gauguin zum Inhalt haben sollte. Auch wenn er dieses Projekt nicht verwirklichte, hat Berg gleichwohl ein musikalisches Monument der Freundschaft errichtet: mit dem Kammerkonzert, das er seinem Lehrer zu dessen 50. Geburtstag zueignete (endgültig fertig wurde es allerdings erst einige Monate nach diesem Jubeltag, am 23. Juli 1925). Dem ersten Satz dieses für Klavier, Geige und ein Ensemble aus 13 Bläsern konzipierten Werks stellte Berg ein kurzes musikalisches Motto voran, in dessen fünf Takten er die Namen des Dreigestirns Schönberg – Webern – Berg auf die Weise zum Klingen brachte, dass er ihre Buchstaben, soweit dies möglich ist, in Noten übersetzte: ArnolD SCHönBErG, Anton wEBErn, AlBAn BErG. Den so entstandenen Motiven fiel, wie Berg erläuterte, „eine bedeutende Rolle in der melodischen Entwicklung dieser Musik“ zu.
Der Eröffnungssatz umfasst fünf Variationen über ein „Thema scherzoso“, hinter denen sich Charakterporträts exponierter Persönlichkeiten des Schönberg-Kreises verbergen. Für die erste Variation (Klavier allein) vermerkte Berg den Namen „Stein“ (Erwin Stein, Schüler und enger Mitarbeiter Schönbergs); zur zweiten schrieb er zunächst „ich“, dann „Kolisch“ (der Geiger Rudolf Kolisch war 1919 zu Schönberg gekommen; nur in dieser Variation erscheint, für zwei Takte, die Violine, die ansonsten im ersten Satz schweigt). Die dritte porträtiert überaus anschaulich Josef Polnauer, einen Mann von athletischer Statur, der in Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen“ für Ruhe und Ordnung sorgte und notfalls auch als Rausschmeißer fungierte. Für die vierte Variation notierte Berg den Namen „Web[ern]“, strich ihn jedoch aus und ersetzte ihn durch (abermals) „Stein“. Zur fünften schließlich hielt er fest: „Canons: die andern (die nachfolgen, überholen wollen etc.)“. Während der erste Satz des Kammerkonzerts also den Gedanken der Freundschaft feiert, ist der zweite der Liebe gewidmet, der Liebe Arnold Schönbergs zu seiner am 18. Oktober 1923 nach qualvoller Krankheit verstorbenen Frau Mathilde: Die Tonfolge a–h–d–e (mAtHilDE) durchzieht als motivische Chiffre die Musik des Adagios. Dieser langsame Satz teilt sich in zwei Hälften, deren zweite als krebsförmige Wiederholung der ersten gestaltet ist. In der Mitte, am Wendepunkt, ertönen im Klavier (das im übrigen Satz pausiert) zwölf „Glockenschläge“, ein klangliches Schicksalssymbol.
Über das musikalische Motto des Anfangs schrieb Alban Berg die Worte „Aller guten Dinge…“, und wie konnte es da ausbleiben, dass sein Kammerkonzert auch drei Sätze erhielt. Vor allem das abschließende Rondo ritmico (das von einer „Introduzione“ für Klavier und Geige eingeleitet wird) bestätigt Bergs Auffassung, in einem Konzert könnten nicht nur die Solisten, sondern auch der Autor seine Virtuosität unter Beweis stellen. In diesem Finale nämlich hat Berg das kombinatorische Kunststück einer gleichzeitigen (!) Reprise der beiden vorangegangenen Sätze vollbracht: „Alle diese diskrepanten Bestandteile und Charaktere unter einen Hut zu bringen“, erklärte der Komponist, „daraus also einen neuen Satz mit ganz selbständigem Ton zu finden, hat die Form des ,Rondo ritmico‘ ergeben.“
Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur. Er verfasste Buchbeiträge zur Bach- und Beethoven-Rezeption sowie über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler und publizierte Essays und Werkkommentare für die Festspiele in Salzburg, Grafenegg, Luzern, Würzburg und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, für Rundfunkanstalten, Schallplattengesellschaften, Konzert- und Opernhäuser.
Arnold Schönberg, Selbstportrait (1907–09)
The “Second Viennese School” is a loaded term. While it draws the requisite link between Arnold Schoenberg and his most prominent pupils, it fails to define both what preceded them and who followed. In this program by the Boulez Ensemble and Thomas Guggeis, however, Beethoven takes his undeniable role among those forebears—even appearing in motivic form—while György Ligeti represents the ensuing generation.
Program Note by Gavin Plumley
Intergenerational Dialogues
Music from Beethoven to Ligeti
Gavin Plumley
The “Second Viennese School” is a loaded term. While it draws the requisite link between Arnold Schoenberg and his most prominent pupils, it fails to define both what preceded them and who followed. In this program by the Boulez Ensemble and Thomas Guggeis, however, Beethoven takes his undeniable role among those forebears—even appearing in motivic form—while György Ligeti represents the ensuing generation.
On the Wind
For several years, the picture of the Hungarian composer’s early career was incomplete. Many of the works he wrote in Budapest before fleeing to the West in 1956 were kept in the composer’s desk drawer, in fear of reprisals from the proscriptive authorities. These included Ligeti’s Musica ricercata, a 1951–3 set of 11 pieces for piano. Each centers on a particular pitch class: two notes in the first, three in the second and so on, until the final piece encompasses the whole chromatic scale. Shortly after its completion, Ligeti was approached by the Budapest-based Jeney Quintet for a new work and so he adapted movements from Musica ricercata as the Six Bagatelles.
They open with an arrangement of the third of the piano pieces, revolving around four pitches—C, E, E flat, and G—and effectively juxtaposing major and minor triads with great punch. The second movement (Rubato. Lamentoso) assumes the role of a dirge, even evoking a church bell. The third, on the other hand, has further roots in the Andante from the contemporaneous Sonatina for Four-Hand Piano, to which Ligeti would return towards the end of his career when writing the Violin Concerto.
The Presto ruvido, looking to the additive aksak rhythms of Bulgarian and Turkish folk music that would dominate Ligeti’s Études, is followed by a tribute to Bartók, in both his “night music” and ethnomusicological guises. At the premiere, only five of the Bagatelles were performed by the Jeney Quintet, as it was thought the last—the penultimate of the Musica ricercata pieces—might provoke indignation. Bitonal to its core, it likewise contrasts two motivic ideas, at times “spiteful” and at others “as if mad.” Here, in embryo, is the humor and clustered harmonies of Ligeti’s later works.
Like the Six Bagatelles, Lugwig van Beethoven’s Octet in E-flat major Op. 103 is not the whole story. Published by Artaria in Vienna in the 1830s, it originated as the Parthia dans un concert in Bonn in 1792, just before Beethoven left for the Habsburg imperial capital. The music, acknowledging his birthplace’s love for outdoor wind music, would later inspire the (significantly revised) String Quintet Op. 4, though Beethoven clearly thought highly enough of the original to include it in the portfolio he sent to Haydn in Vienna, where he also adapted the score for further performance.
There is certainly a robust sense of purpose about the opening sonata-form Allegro, which is closer in kinship to Haydn than the music of the recently deceased Mozart. Nonetheless, something of the latter’s operatic vein emerges in the Andante’s lilting theme and variations. The Menuetto then eschews courtly decorum to provide an early example of Beethoven’s scherzo style, before the clarinets seize the melodic honors in the finale.
Concision and Mourning
In 1909, Arnold Schoenberg wrote one of his most candid letters. He explained to his friend Ferruccio Busoni that he would not be continuing the post-Romantic excess typified by Verklärte Nacht and the (then) unfinished Gurre-Lieder. Instead, Schoenberg wanted “complete liberation from all forms from all symbols of cohesion and of logic… My music must be brief,” he insisted. “Concise! In two notes: not built, but ‘expressed’!!!”
The Six Little Piano Pieces Op. 19 are the epitome of those aims. They were initially completed as a five-movement work in February 1911, a month after Schoenberg established a connection with the New Artists’ Association of Munich. The composer then met the group’s most prominent member, Wassily Kandinsky, that summer, by which time Schoenberg had written a sixth and final piece in tribute to Mahler, another of his idols, who had died on May 18.
The first piece is richly sonorous, emphasized by Schoenberg’s instruction “mit Ton.” The second focuses more intently on timbre and the disparity between a repeated staccato figure in the left hand and more expressive lines in the right. The latter come to typify the third piece, with deep pianissimo octaves contrasting with more outspoken music. In both the fourth and fifth pieces, a tenacious melodic line is heard against pointillist flashes of color, propelling and then stalling the music’s nascent energy. Finally, the Sehr langsam suggests tolling bells, grieving for the recently departed Mahler—there is also a contemporaneous painting by Schoenberg—before disappearing “like a breath.”
Crying for Truth
Anton Webern took Schoenberg at his word when it came to concision. He was also the most doctrinaire in his approach to serialism—the two processes far from mutually exclusive. Such rigorousness nonetheless yielded bounties, as Igor Stravinsky noted when calling Webern’s twelve-tone works “dazzling diamonds,” including the Concerto for Nine Instruments Op. 24 of 1934. Lasting but seven minutes, the piece is as concentrated as it is brief, the row from which it stems comprising as much inner symmetry as it does harmonic and contrapuntal possibilities.
The Hauptmotif, manifesting in cussed, cautious and caring guises during the first movement, harks back to the very beginning of Webern’s study with Schoenberg, when Beethoven was often the subject of their discussions. “One day the moment will come,” Webern had hoped in 1904, “when I am directly imbued, in brightest purity, with his divinity. He is the comfort of my soul, which searches, cries for truth.” That sense of urgency is held within a three-note motif, as in Webern’s 1905 String Quartet, recalling the famous “muss es sein?” (must it be?) gesture at the beginning of the finale from Beethoven’s F-major String Quartet Op. 135. The Concerto’s second movement may not deliver the expected assertive response in its combinations of derived harmonies—the piano and the other eight instruments are pitted against each other, as if to accentuate the comparisons—yet the finale proves much more insistent, confirming, in its own way, “es muss sein!” (it must be). Webern dedicated the work to Schoenberg as his 60th birthday present.
Ten years earlier, Alban Berg had paid similar tribute in the form of his Chamber Concerto for piano, violin, and 13 wind instruments. Quite why Berg chose to raise the specter of his triskaidekaphobic teacher’s dreaded number is tempered by the knowledge that this was, in turn, a nod to the instrumentation of Mozart’s “Gran Partita.” Nonetheless, Berg’s homages are rarely straightforward, with some seeing the Concerto’s central movement as a sketch of Schoenberg’s troubled marriage to Mathilde Zemlinsky, who had died in 1923, and whose affair with Richard Gerstl in 1908 had led to the artist’s suicide. Berg, on the other hand, provided the following explanation: “It is … a small monument to a friendship now numbering 20 years: in a musical motto preceding the first movement three themes (or rather motifs), which play an important role in the melodic development of the piece, contain the letters of your name, as well as Anton Webern’s and mine, so far as musical notation permits. That in itself already suggests a trinity of events and as a matter of fact—for it concerns your birthday, after all, and all good things that I wish for you come in threes—it also applies to the work as a whole.”
In addition, there are three distinct instrumental groups for each of the movements: piano and woodwind; violin and wind; and, finally, all the forces together. After the three themes—Schoenberg (piano), Webern (violin), and Berg (horn)—the first movement, entitled “Friendship” in the pre-composition sketches, consists of three parts. The material, derived from sequences of interval cycles, may not be treated in strict serial fashion—Berg was never as orthodox as Webern—though it certainly undergoes developments associated with Schoenberg’s twelve-tone technique. After the piano’s passionate adaptation of the theme, the material is presented in inversion (a macabre waltz), followed by retrograde and retrograde-inversion variations, which constitute the development section of a sonata form. There follows a more lyrical recapitulation, though this closes on an abrupt cadence.
Berg described the (similarly) three-part Adagio as a “da capo song form,” using sequences of twelve-note melodies rather than a serial row (or rows). In mood, the movement, subtitled “Love,” recalls Schoenberg’s Pelleas und Melisande—in turn, harking back to the Zemlinsky-Gerstl affair—before becoming more threatening, not least when the piano tolls 12 deep C sharps. This midnight moment marks the midpoint of the palindromic Adagio and the Concerto as a whole—a structure Berg later employed in Lulu. As a result, the finale offers a “reprise,” with the first two movements and their distinct metrical profiles laid on top of each other. Taking the form of a rondo, the last movement was originally described as “the World” and often strikes a martial note, with snappy lombardic rhythms, before its dense counterpoint evaporates in the ether.
Gavin Plumley is a cultural historian who writes, broadcasts, and lectures widely on the art and music of Central Europe. He appears frequently on the BBC and contributes to newspapers, magazines, and opera and concert programs worldwide. His first book, A Home for All Seasons, was published in 2022.

Thomas Guggeis
Musikalische Leitung
Thomas Guggeis ist seit Beginn der Spielzeit 2023/24 Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt und in dieser Funktion auch künstlerischer Leiter der Frankfurter Museumskonzerte. In seiner ersten Spielzeit leitet er u.a. Neuproduktionen von Ligetis Le Grand macabre und Wagners Tannhäuser. Zuvor wirkte er von 2018 bis 2020 als Kapellmeister an der Staatsoper Stuttgart sowie seit 2016 zunächst als Assistent von Daniel Barenboim, seit 2019/20 dann als Staatskapellmeister an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, wo er u.a. Neuproduktionen von Richard Strauss’ Daphne und Salome sowie Aufführungen von Falstaff, Lohengrin, Samson et Dalila, Don Giovanni, Jenůfa, Elektra und Wagners Der Ring des Nibelungen dirigierte. Im Mai 2023 gab er mit dem Fliegenden Holländer sein Debüt an der Metropolitan Opera. Auch an der Wiener Staatsoper ist Thomas Guggeis mittlerweile regelmäßiger Gast; dorthin kehrt er in dieser Saison mit Verdis Falstaff zurück. In diesem Februar gibt er sein Debüt an der Mailänder Scala mit Die Entführung aus dem Serail. Abseits der Opernbühne leitete er Konzerte mit renommierten Klangkörpern wie der Staatskapelle Dresden, der Staatskapelle Berlin, den Wiener Philharmonikern, den Münchner Philharmonikern, dem Orchestre de Paris und dem West-Eastern Divan Orchestra. Im Pierre Boulez Saal war er mehrfach in Konzerten des Boulez Ensembles als Pianist und Dirigent zu erleben. Sein Studium absolvierte er bei Bruno Weil, Marcus Bosch und Vittorio Parisi in München und Mailand, zudem besuchte er Meisterkurse u.a. bei Gianandrea Noseda, Vladimir Jurowski und Alexander Liebreich.
Januar 2024

Michael Barenboim
Violine
Der in Paris geborene und in Berlin aufgewachsene Michael Barenboim studierte Violine bei Axel Wilczok an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock sowie Philosophie an der Pariser Sorbonne. Neben seiner Beschäftigung mit dem klassisch-romantischen Repertoire widmet er sich insbesondere der zeitgenössischen Musik. Ihn verband eine langjährige künstlerische und persönliche Freundschaft mit Pierre Boulez, dessen Anthèmes 1 und 2 und Dérive 2 er 2015 zum 90. Geburtstag des Komponisten u.a. in Berlin, London, Paris und bei den Salzburger Festspielen aufführte. Er trat mit renommierten Orchestern wie den Berliner und Wiener Philharmonikern, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Chicago Symphony Orchestra, dem Mahler Chamber Orchestra, dem Israel Philharmonic Orchestra und dem Los Angeles Philharmonic Orchestra auf und arbeitete dabei mit Dirigenten wie Zubin Mehta, Christoph Eschenbach, Gustavo Dudamel und Lorin Maazel zusammen. Zu seinen kammermusikalischen Partnern zählen u.a. Guy Braunstein, Frans Helmerson und Sir András Schiff. Außerdem tritt er regelmäßig gemeinsam mit seinen Eltern Daniel Barenboim und Elena Bashkirova auf. Im Jahr 2020 übernahm Michael Barenboim die Position des Bratschers im Michelangelo String Quartet. Er ist Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra und rief im Jahr 2019 das West-Eastern Divan Ensemble ins Leben. Seit Juli 2020 wirkt er als Dekan an der Barenboim-Said Akademie, an der er auch eine Professur für Violine und Kammermusik innehat.
Januar 2024

Karim Said
Klavier
Der palästinensisch-jordanische Pianist und Dirigent Karim Said machte erstmals 2009 durch Auftritte mit Sir Colin Davis und dem English Chamber Orchestra sowie mit Daniel Barenboim bei den BBC Proms international auf sich aufmerksam. Als Solist ist er seither u.a. in der Berliner Philharmonie, im Wiener Musikverein und im Tschaikowsky Konservatorium in Moskau sowie in Tokio und Dubai aufgetreten. Zur Eröffnung des Pierre Boulez Saals musizierte er im März 2017 gemeinsam mit dem Boulez Ensemble unter der Leitung von Maestro Barenboim das Kammerkonzert von Alban Berg. Als Kammermusiker hat er zudem mit Künstler:innen wie Waltraud Meier, Dorothea Röschmann und Gabriel Croitoru zusammengearbeitet, darüber hinaus gab er Soloabende u.a. beim Aldeburgh Festival und beim Festival Piano aux Jacobins in Toulouse. Er ist Mitgründer des Amman Chamber Orchestra und des Amman Institute of Performing Arts, als deren musikalischer Leiter er wirkt mit dem Ziel, klassische Musik sowohl in seiner Heimat als auch in der weiteren arabischen Welt stärker zu fördern. Unter seinen Einspielungen sind zwei Soloalben, die Musik der Zweiten Wiener Schule Werken anderer Komponisten gegenüberstellt. Auf seinem jüngsten Album, das in diesem Jahr erscheint, kombiniert er Kompositionen von Schönberg, Webern, Beethoven und Mozart und schließt damit seine Gesamteinspielung der Soloklaviermusik der Zweiten Wiener Schule ab. Geboren 1988 in Amman, kam Karim Said im Alter von elf Jahren nach Großbritannien. Er studierte Klavier, Komposition und Dirigieren an der Purcell School of Music, wo er Gegenstand eines BBC-Dokumentarfilms war, sowie an der Royal Academy of Music. Als Dirigent besuchte er Meisterkurse mit Bernard Haitink. 2017 wurde er zum Associate der Royal Academy of Music ernannt.
Januar 2024

Boulez Ensemble
Das von Daniel Barenboim gegründete Boulez Ensemble hat seine künstlerische Heimat im Pierre Boulez Saal in der Barenboim-Said Akademie. Hier trat das Ensemble anlässlich des Richtfestes des Gebäudes im Juni 2015 erstmals öffentlich auf. Das internationale Debüt folgte im Januar 2017 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung für Pierre Boulez in der Zankel Hall an der Carnegie Hall in New York. Seit der Eröffnung des Pierre Boulez Saals im März 2017 gestaltet das Ensemble hier eine eigene Konzertreihe, die bisher Auftritte mit Künstler:innen wie Oksana Lyniv, Zubin Mehta, Sir Antonio Pappano, Matthias Pintscher, Sir Simon Rattle, François-Xavier Roth, Lahav Shani, Giedrė Šlekytė, Jörg Widmann, Emmanuel Pahud, Mojca Erdmann, Christiane Karg, Magdalena Kožená und vielen anderen beinhaltete. Als wandlungsfähiger Klangkörper ohne feste Besetzung besteht das Boulez Ensemble hauptsächlich aus Musiker:innen der Staatskapelle Berlin und des West-Eastern Divan Orchestra sowie Lehrenden und Studierenden der Barenboim-Said Akademie und internationalen Gastkünstler:innen, die für jedes Projekt individuell zusammenkommen. Seine künstlerische Identität gewinnt das Ensemble aus seinen Konzertprogrammen, die Repertoire der Klassik und Romantik, Meisterwerke des 20. Jahrhunderts und Musik unserer Zeit miteinander kombinieren und gleichzeitig Duo- und Triokompositionen größer besetzten Werken gegenüberstellen. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet dabei das Schaffen von Pierre Boulez. Regelmäßig gestaltet das Boulez Ensemble außerdem Uraufführungen von Auftragswerken; in den vergangenen Jahren waren neue Kompositionen von Benjamin Attahir, Johannes Boris Borowski, Luca Francesconi, Matthias Pintscher, Aribert Reimann, Kareem Roustom, Vladimir Tarnopolski und Jörg Widmann zu hören. Das Ergebnis dieser Programmgestaltung ist ein klingendes Kaleidoskop der Stile, in dem das Neben- und Miteinander unterschiedlicher Werke neue Hörperspektiven eröffnet. Dieser Geist der musikalischen Entdeckungsfreude und des künstlerischen Dialogs geht direkt auf die Inspiration des Namensgebers, des Komponisten, Dirigenten und Visionärs Pierre Boulez zurück.
Januar 2024