Roberta Mameli Sopran
Margret Koell Barockharfe
Michele Pasotti Erzlaute und Theorbe

Programm

Vokalwerke von
Luigi Rossi
Giulio Caccini
Barbara Strozzi

Instrumentalmusik von
Carlo Gesualdo
Giovanni Girolamo Kapsberger
Bernardo Storace
Arcangelo Corelli

Luigi Rossi (um 1598–1653)
Vaghi rivi
aus Il palazzo incantato ovvero La guerriera amante (1642)

Or che l’oscuro manto


Carlo Gesualdo da Venosa (1566–1613)
Canzon francese del Principe
Bearbeitung für Harfe und Erzlaute


Giulio Caccini (1551–1618)
Non ha ’l ciel cotanti lumi
La bella man vi stringo
aus Nuove musiche e nuova maniera di scriverla (1614)

Dovrò dunque morire
aus Le nuove musiche (1602)


Giovanni Girolamo Kapsberger (um 1580–1651)
Canzone prima
aus dem Libro quarto d’intavolatura di chitarone (1640)


Barbara Strozzi (1619–1677)
Sul Rodano severo
aus Cantate, ariette, e duetti op. 2 (1651)

 


Pause

 


Giulio Caccini
Tu ch’hai le penne amore 
aus Nuove musiche (1614)

Dolcissimo sospiro
aus Le nuove musiche (1602)


Bernardo Storace (fl. um 1650)
Passacaglia a-moll
aus Selva di varie compositioni d’intavolatura per cimbalo ed organo (1664)
Bearbeitung für Harfe solo


Luigi Rossi
Mio ben, teco il tormento più
aus L’Orfeo (1647)

La bella più bella

Lagrime, dove sete?
aus L’Orfeo


Arcangelo Corelli (1653–1713)
Preludio. Largo – Allemanda. Allegro
aus der Sonata e-moll op. 5 Nr. 8 (1700) 
Bearbeitung für Erzlaute und Harfe


Barbara Strozzi
Che si può fare?
aus Arie op. 8 (1664)

Tradimento
aus Diporti di Euterpe ovvero cantate e ariette a voce sola op. 7 (1659)

Luigi Rossi (um 1598–1653)
Vaghi rivi
aus Il palazzo incantato ovvero La guerriera amante (1642)

Or che l’oscuro manto


Carlo Gesualdo da Venosa (1566–1613)
Canzon francese del Principe
Bearbeitung für Harfe und Erzlaute


Giulio Caccini (1551–1618)
Non ha ’l ciel cotanti lumi
La bella man vi stringo
aus Nuove musiche e nuova maniera di scriverla (1614)

Dovrò dunque morire
aus Le nuove musiche (1602)


Giovanni Girolamo Kapsberger (um 1580–1651)
Canzone prima
aus dem Libro quarto d’intavolatura di chitarone (1640)


Barbara Strozzi (1619–1677)
Sul Rodano severo
aus Cantate, ariette, e duetti op. 2 (1651)

 


Pause

 


Giulio Caccini
Tu ch’hai le penne amore 
aus Nuove musiche (1614)

Dolcissimo sospiro
aus Le nuove musiche (1602)


Bernardo Storace (fl. um 1650)
Passacaglia a-moll
aus Selva di varie compositioni d’intavolatura per cimbalo ed organo (1664)
Bearbeitung für Harfe solo


Luigi Rossi
Mio ben, teco il tormento più
aus L’Orfeo (1647)

La bella più bella

Lagrime, dove sete?
aus L’Orfeo


Arcangelo Corelli (1653–1713)
Preludio. Largo – Allemanda. Allegro
aus der Sonata e-moll op. 5 Nr. 8 (1700) 
Bearbeitung für Erzlaute und Harfe


Barbara Strozzi
Che si può fare?
aus Arie op. 8 (1664)

Tradimento
aus Diporti di Euterpe ovvero cantate e ariette a voce sola op. 7 (1659)

asset_imagePietro da Cortona, Der Triumph der göttlichen Vorsehung (Ausschnitt des Deckenfreskos im Palazzo Barbarini, 1632-39) 

Musen, Macht und Monodie

Mit dem begleiteten Sologesang entstand im frühbarocken Italien um 1600 eine grundlegend neue Organisationsform des musikalischen Satzes. An die Stelle des polyphonen Stimmengeflechts des vorangegangenen Jahrhunderts trat die Aufteilung in vokale Melodie und instrumentale Begleitung – die Musikwissenschaft taufte sie später Monodie. Luigi Rossi in Rom, Giulio Caccini in Florenz und Barbara Strozzi in Venedig verhalfen der neuen Gattung weit über die Grenzen Italiens hinaus zum Durchbruch.

Werkeinführung von Christoph Schaller

Musen, Macht und Monodie
Vokale Kammermusik des italienischen Frühbarock

Christoph Schaller


Februar 1642: Es ist Karneval in Rom. Während der tollen Tage wurde die ewige Stadt zur Kulisse für grandiose Festbankette, ausgelassene Maskenumzüge, Feuerwerksspektakel und nicht zuletzt die berüchtigten Wagenrennen auf der Via del Corso. Auch Antonio Barberini plante für diese Karnevalssaison etwas Besonderes, denn nur jetzt durften auch in der heiligen Stadt Opern aufgeführt werden.

Wer auf dem diplomatischen Parkett der frühbarocken Stadtgesellschaft eine Hauptrolle spielen wollte, musste die Kunst der öffentlichen Selbstinszenierung beherrschen – und wie sich Musik und Kultur dafür einspannen ließen, verstanden Antonio und seine Familie zu Beginn des 17. Jahrhunderts vielleicht am besten. Seit Antonios Onkel 1623 als Papst Urban VIII. ins Zentrum der römischen Macht aufgestiegen war und – wie damals üblich – sogleich Kardinalshüte an seine Neffen verteilte hatte, wurde der Familienwohnsitz nach Entwürfen von Gian Lorenzo Bernini und Francesco Borromini zum imposanten Palazzo ausgebaut; die Wände schmückten Fresken von Pietro da Cortona und Gemälde Caravaggios.

Die Aufführung der Oper Il palazzo incantato (Das Zauberschloss) am 22. Februar 1642 im hauseigenen Theater sollte den Führungsanspruch der Barberini mit extravaganter Ausstattung und Bühneneffekten wirkungsvoll untermauern. Die Musik zum Libretto des befreundeten Klerikers und späteren Papstes Giulio Rospigliosi lieferte mit Luigi Rossi einer der gefragtesten Komponisten Roms, der kurz zuvor aus dem Haushalt der Borghese, einer nicht minder bekannten römischen Familie, in den Dienst der Barberini gewechselt war. Im Prolog Vaghi rivi, dessen Beginn auch das heutige Programm eröffnet, versucht die Figur der Pittura – Allegorie der Malerei – vergeblich, die Schönheit silberner Bäche darzustellen. Den Zauber ihres stetigen Dahinfließens vermag nur die Zeitkunst Musik einzufangen. Der folgenden, haarsträubend wirren Handlung mit nicht weniger als 16 Solorollen konnte allerdings schon das zeitgenössische Publikum nicht mehr recht folgen. Auch die unzuverlässige Bühnenmaschinerie, die die Beteiligten im wörtlichen Sinn hängen ließ, trug dazu bei, dass Il palazzo incantato den gewünschten Zauber nicht recht entfalten konnte – da half auch Rossis dramaturgisch kluge und äußerst abwechslungsreiche Vertonung nicht.


Al modo d’Orfeo

Bezaubern konnte Rossi viel eher durch Kompositionen in deutlich intimerem Format: Bei exklusiven Privatkonzerten kultivierte man im Palazzo Barberini und andernorts eine im frühen 17. Jahrhundert noch recht junge Form der vokalen Kammermusik für Solostimme und ein kleines begleitendes Ensemble aus Laute, Theorbe bzw. Chitarrone, Harfe oder Cembalo.

Die Instrumentalparts übernahmen Rossi – selbst ausgebildeter Sänger, aber vor allem für seine Virtuosität auf Tasteninstrumenten bekannt – und seine Frau Costanza da Ponte, eine herausragende Harfenistin, wahrscheinlich oft selbst. Sie steuerten lediglich das harmonische Grundgerüst bei, über dem sich die Gesangslinie entfalten konnte. Diese Aufteilung in vokale Melodie und instrumentale Begleitung über einer durchgehenden Basslinie war eine grundlegend neue Organisationsform des musikalischen Satzes, die sich um 1600 in Abgrenzung vom Stimmengeflecht der Vokalpolyphonie des vorangegangenen Jahrhunderts etabliert hatte – die Musikwissenschaft taufte sie später Monodie.

Knapp 300 solcher Werke schrieb Rossi, die in Abschriften in ganz Europa kursierten – darunter komplex gebaute wie Or che l’oscuro manto, in dem sich rezitativische und ariose Texturen frei aneinanderreihen, aber auch liedhafte, strophisch-geschlossene Kompositionen wie La bella più bella, in denen wiederkehrende Textabschnitte auch musikalisch als Refrain aufgegriffen werden. Rossis Formenvielfalt ist symptomatisch für eine Zeit des Umbruchs zwischen den linearen Verläufen des früheren Madrigals und den zyklischen Formen der späteren Arie, die auch eine Zeit der Erneuerung der zugrundeliegenden italienischen Lyrik war: Neben der unregelmäßigen Metrik der klassischen Madrigaldichtung entstanden zunehmend einheitlichere und periodisch wiederkehrende Akzentmuster, die ganz neue Möglichkeiten der Vertonung eröffneten. 


Von der Canzona zur Sonata

Von Carlo Gesualdo sind keine Werke im neueren, monodischen Stil bekannt. Der adlige Komponist blieb der fünf- oder sechsstimmigen Anlage des Cinquecento-Madrigals treu, auch wenn er mit seinen gewagten Kompositionen zu einem seiner innovativsten Erneuerer wurde. Dennoch war auch Gesualdos Musik am Hof der Barberini präsent – zumindest in instrumentalen Fassungen, dargeboten etwa von Girolamo Frescobaldi, dem führenden Cembalovirtuosen seiner Zeit, oder seinem deutschstämmigen Kollegen Giovanni Girolamo Kapsberger, die beide auf der Gehaltsliste von Antonios Bruder Francesco standen. Wahrscheinlich gehörte auch die vierstimmige Canzon francese del Principe zu ihrem Repertoire – eines von nur einer Handvoll Instrumentalwerken Gesualdos, der selbst ein ausgezeichneter Lautenist gewesen sein soll.

Insbesondere Kapsberger ist es zu verdanken, dass sich die Theorbe, damals häufig noch als „chitarone“ bezeichnet, neben ihrer begleitenden Funktion in der Continuo-Gruppe der neuen Monodie auch als virtuoses Soloinstrument etablierte. 1604 legte er die erste gedruckte Sammlung von Werken für Solotheorbe überhaupt vor, der viele weitere Bände folgen sollten; das Libro quarto d’intavolatura di chitarone von 1640 ist eine der letzten Veröffentlichungen des zu Lebzeiten für seine unnachahmliche Virtuosität gefeierten „Tedesco della tiorba“.

Als Titel für Instrumentalmusik wirkt die Bezeichnung Canzona bzw. Canzon heute etwas irreführend. Tatsächlich waren damit zunächst instrumentale Bearbeitungen mehrstimmiger, meist französischer Chansons gemeint (daher der Zusatz „francese“ bei Gesualdo); ab Mitte des 16. Jahrhunderts löste sich die Bezeichnung aber mehr und mehr von ihrem vokalen Ursprung und wurde als „Canzona a sonar“ auch für frei komponierte, mehrteilige Instrumentalwerke üblich, etwa die stilbildenden Canzonen Frescobaldis.

In dieser Tradition stand noch der in Messina wirkende Bernardo Storace, von dem nicht viel mehr überliefert ist als seine 1664 in Venedig erschienene Sammlung Selva di varie compositioni d’intavolatura per cimbalo ed organo, die neben der heute zu hörenden Passacaglia auch einige Canzonen enthält. Zu diesem Zeitpunkt war die Canzona allerdings schon fast vollständig von der „Sonata“ verdrängt worden, einer zunächst fast gleichbedeutend gebrauchten Gattungsbezeichnung, unter der sich aber im Lauf des Jahrhunderts eine eigene, charakteristische musikalische Form ausprägte, die spätestens mit den Sonatendrucken Arcangelo Corellis ab den 1680er Jahren weit über Italien hinaus Modellcharakter entwickelte.

Das hochklassige Musikleben am Palazzo Barberini fand schon kurz nach der Uraufführung von Rossis Il palazzo incantato mit dem Tod von Papst Urban VIII. ein jähes Ende. Als mit Innozenz X. ein Vertreter des verfeindeten Hauses Pamphilj den Heiligen Stuhl bestieg, mussten die Barberini fluchtartig die Stadt verlassen. Sie flohen an den französischen Hof, wo ihr ehemaliger Vertrauter Giulio Mazzarino – jetzt Jules Mazarin – mittlerweile Erster Minister unter Ludwig XIV. war. Mit den Barberini holte Mazarin auch zahlreiche italienische Künstler:innen nach Paris, darunter auch Rossi, der hier eine zweite Chance auf der Opernbühne bekam. Obwohl das Libretto zu L’Orfeo von Francesco Buti ähnlich konfus war, blieb die Uraufführung der ersten für französisches Publikum komponierten italienischen Oper 1647 noch bis ins 18. Jahrhundert in deutlich besserer Erinnerung.


Wer hat’s erfunden?

Wenn es nach Giulio Caccini ginge, sind die Ursprünge von Oper und begleitetem Sologesang im späten 16. Jahrhundert in erster Linie mit einem Namen verbunden – seinem eigenen. 1602 veröffentlichte der gebürtige Römer, der die längste Zeit seines Lebens am Hof der Medici in Florenz wirkte, den ersten Band einer Sammlung von Nuove musiche, in deren Vorwort er die Erfindung der Monodie ungeniert für sich allein reklamierte.

Mit der polyphonen Vokalmusik seiner Zeit könne er vor allem deshalb nichts anfangen, so Caccini, weil sie sich des „laceramento della poesia“ schuldig mache: Indem sie den kompositorischen Regeln des traditionellen Kontrapunkts den Vorrang einräumt – prima la musica –, „zerfleische“ sie den Sinnzusammenhang des Textes bis zur Unverständlichkeit. Deshalb habe er sich eine neue Art der Textvertonung einfallen lassen, die sich hinsichtlich des Umgangs mit Ge- und Verboten des Tonsatzes und den Konventionen des Gesangs in „una certa nobile sprezzatura“, vornehmer Verachtung also übt und stattdessen den In- und affektiven Gehalt des Gesungenen in den Mittelpunkt stellt, um wahrhaft in Musik zu sprechen.

Dabei ging es Caccini nicht um die madrigalistische Ausdeutung einzelner Worte. Stattdessen wird der emotionale Zustand des lyrischen Subjekts insgesamt zum Ausgangspunkt der musikalischen Erfindung. Befreit vom Kontrapunkt-Korsett des vorangegangenen Jahrhunderts folgen die Gesangslinien in Vertonungen wie Dovrò dunque morire oder Dolcissimo sospiro, angelehnt an den natürlichen Fluss sprachlicher Deklamation, seinen bzw. ihren Herzensregungen und Gefühlsausbrüchen. Und dabei ließen sich eben, erklärt Caccini, auch „alcune false“, einige nach dem überlieferten Regelwerk des Kontrapunkts „unerlaubte“ Dissonanzen, nicht vermeiden.

Daneben finden sich in den Nuove musiche auch Canzonetten-Vertonungen wie Ottavio Rinuccinis Non ha ’l ciel cotanti lumi oder Tu ch’ai le penne Amore, die Caccini „Arie“ nennt. Hier gehen das regelmäßige Akzent- und Reimschema des Textes und die strophische musikalische Gestaltung mit instrumentalen Zwischenritornellen eine neue, symbiotische Verbindung ein. Die Musik folgt dem Text, der aber ist von vorneherein schon auf seine Vertonung hin konzipiert.

Die frühesten Stücke der Nuove musiche, behauptet Caccini, entstanden bereits in den 1580er Jahren. Damals gehörte er den exklusiven Zirkeln um die Florentiner Gelehrten Giovanni de’ Bardi und Jacopo Corsi an, die Caccini als erster „Camerata“ nannte. Dort erprobte eine ganze Schar von Intellektuellen, Literaten und Musikern wie Jacopo Peri oder Emilio de’ Cavalieri das Potenzial des neuen monodischen Stils in Theorie und Praxis. Caccinis Beitrag zur Entwicklung der Kunst des „in armonia favellare“ ist unbestritten, allerdings dürften seine Mitstreiter – oder besser Gegenspieler – nicht begeistert gewesen sein von der cleveren Selbstinthronisierung als alleiniger musikalischer Innovator, der er 1614 mit dem zweiten Band der Nuove musiche nochmals Nachdruck verlieh – mit Erfolg, denn bis noch ins 20. Jahrhundert folgte die Musikwissenschaft seiner Version der Geschichte.


Signora degli Unisoni

Auch mit dem Namen Barbara Strozzi verband sich lange ein hartnäckiges Missverständnis – das der komponierenden Kurtisane, die ihre Dienste den männlichen Mitgliedern der venezianischen Elite anbot und bei deren Zusammenkünften auch mit ihren musikalischen Künsten unterhielt. Ganz abwegig ist diese Theorie nicht, stand nichtadeligen jungen Frauen, die wie Strozzi aufgrund ihrer unehelichen Geburt nicht als Ehefrau für „ehrbare“ Männer in Frage kamen, neben der Prostitution doch eigentlich nur der Weg ins Kloster offen – den wiederum die für den Eintritt zu entrichtende, horrend hohe Mitgift oft wieder versperrte.

Neuere biografische Forschung macht es heute allerdings wahrscheinlicher anzunehmen, dass es Strozzi auf bemerkenswerte und für ihre Zeit vielleicht einmalige Weise gelang, zwischen und um diese gesellschaftlichen Schranken herum einen eigenen, in hohem Maße selbstbestimmten und vor allem künstlerisch äußerst erfolgreichen Weg zu beschreiten.

Die Grundlage dafür legte ihr ebenso unehelich geborener Vater Giulio, der sich als Schriftsteller und Librettist Zugang zur intellektuellen Elite des im Vergleich zu Rom viel liberaler orientierten venezianischen Bürgertums erarbeitet hatte. Seine Tochter, der er eine musikalische Ausbildung bei Francesco Cavalli ermöglichte, beeindruckte mit ihrem Gesang schon als Jugendliche in den 1630er Jahren die Anwesenden bei den regelmäßigen Akademien in seinem Haus – so sehr, dass er wenig später mit der Accademia degli Unisoni eine neue Vereinigung ins Leben rief, deren Treffen nun ganz explizit Barbaras musikalischer Kunst eine Bühne boten. Dort präsentierte sie nicht nur ihre neuesten Kompositionen, sondern gab als „Signora degli Unisoni“, wie die Musikwissenschaftlerin Daria Perocco schreibt, auch den Ton bei den anschließenden Diskussionen an.

An eine größere Öffentlichkeit wandte sich Strozzi mit ihren Werken dann vor allem nach der Geburt ihrer vier Kinder und dem Tod ihres Vaters. Nicht weniger als acht Bände erschienen zwischen 1644 und 1659, die – abgesehen von Opus 1, einer Sammlung von fünfstimmigen Madrigalen – ausschließlich vokale Kammermusik für Solostimme (oder -stimmen) und Basso continuo enthalten, mehr als drei Viertel davon für ihre eigene Stimmlage Sopran. Damit publizierte Strozzi in diesem Genre mehr Musik als irgendeiner ihrer Zeitgenossen.

Innerhalb des ihr zur Verfügung stehenden musikalischen Rahmens nutzte Strozzi alle erdenklichen Spielarten des solistischen Gesangs, etwa in Tradimento aus op. 7, in dem sich auf engstem Raum kontrastierende musikalische Charaktere, Taktarten und Texturen abwechseln. In der Kantate Che si può fare aus op. 8 kommt eines ihrer liebsten kompositorischen Werkzeuge zum Einsatz: die viertönige, absteigende Basslinie, die seit Monteverdi zum musikalischen Signet des Klagegesangs geworden war. Für ihre Drucke konnte Strozzi durchweg äußerst prominente Widmungsträger:innen und damit auch Finanziers finden – ein weiteres Indiz gegen die Kurtisanen-Theorie, denn als solche hätte sie derart hochstehende Persönlichkeiten kaum für sich gewinnen können.

Das fast 15-minütige Lamento Sul Rodano severo aus Strozzis op. 2 ist nicht nur das mit Abstand längste Werk des heutigen Programms, auch sein Text stellt eine Ausnahme dar. Während es sonst fast ausschließlich um Liebesleid und Herzschmerz geht, handelt es sich hier um einen poetischen Kommentar zu einem aktuellen politischen Ereignis: König Ludwig XIII. von Frankreich findet „am harschen Ufer der Rhône“ die Leiche seines ehemaligen Günstlings Henri, Marquis de Cinq-Mars, der am französischen Hof eine Verschwörung gegen Premierminister Kardinal Richelieu angezettelt hatte und dafür von Ludwig zum Tode verurteilt worden war. Der geisterhafte Schatten des „schönen Heinrich“ hebt an zu einem erschütternden Klagegesang über sein Schicksal und die vorschnelle Verurteilung durch den König, der Ludwig vor Angst erzittern und in Paris die Erde beben lässt.

Hinter der Wahl dieses Sujets mag auch cleveres kulturpolitisches Kalkül gesteckt haben: Ihr Opus 2 widmete die Strozzi keinem Geringeren als Kaiser Ferdinand III. von Habsburg, notorisch verfeindet mit dem französischen Königshaus – er dürfte die Zueignung gerade dieses Werkes voller Schadenfreude und umso bereitwilliger angenommen haben.

 

Christoph Schaller studierte Musikwissenschaft und Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Nach freiberuflicher Tätigkeit als Programmheftautor für die Klangkörper des Bayerischen Rundfunks und andere Konzertveranstalter ist er seit 2017 Dramaturg am Pierre Boulez Saal.

Musen, Macht und Monodie
Vokale Kammermusik des italienischen Frühbarock

Christoph Schaller


Februar 1642: Es ist Karneval in Rom. Während der tollen Tage wurde die ewige Stadt zur Kulisse für grandiose Festbankette, ausgelassene Maskenumzüge, Feuerwerksspektakel und nicht zuletzt die berüchtigten Wagenrennen auf der Via del Corso. Auch Antonio Barberini plante für diese Karnevalssaison etwas Besonderes, denn nur jetzt durften auch in der heiligen Stadt Opern aufgeführt werden.

Wer auf dem diplomatischen Parkett der frühbarocken Stadtgesellschaft eine Hauptrolle spielen wollte, musste die Kunst der öffentlichen Selbstinszenierung beherrschen – und wie sich Musik und Kultur dafür einspannen ließen, verstanden Antonio und seine Familie zu Beginn des 17. Jahrhunderts vielleicht am besten. Seit Antonios Onkel 1623 als Papst Urban VIII. ins Zentrum der römischen Macht aufgestiegen war und – wie damals üblich – sogleich Kardinalshüte an seine Neffen verteilte hatte, wurde der Familienwohnsitz nach Entwürfen von Gian Lorenzo Bernini und Francesco Borromini zum imposanten Palazzo ausgebaut; die Wände schmückten Fresken von Pietro da Cortona und Gemälde Caravaggios.

Die Aufführung der Oper Il palazzo incantato (Das Zauberschloss) am 22. Februar 1642 im hauseigenen Theater sollte den Führungsanspruch der Barberini mit extravaganter Ausstattung und Bühneneffekten wirkungsvoll untermauern. Die Musik zum Libretto des befreundeten Klerikers und späteren Papstes Giulio Rospigliosi lieferte mit Luigi Rossi einer der gefragtesten Komponisten Roms, der kurz zuvor aus dem Haushalt der Borghese, einer nicht minder bekannten römischen Familie, in den Dienst der Barberini gewechselt war. Im Prolog Vaghi rivi, dessen Beginn auch das heutige Programm eröffnet, versucht die Figur der Pittura – Allegorie der Malerei – vergeblich, die Schönheit silberner Bäche darzustellen. Den Zauber ihres stetigen Dahinfließens vermag nur die Zeitkunst Musik einzufangen. Der folgenden, haarsträubend wirren Handlung mit nicht weniger als 16 Solorollen konnte allerdings schon das zeitgenössische Publikum nicht mehr recht folgen. Auch die unzuverlässige Bühnenmaschinerie, die die Beteiligten im wörtlichen Sinn hängen ließ, trug dazu bei, dass Il palazzo incantato den gewünschten Zauber nicht recht entfalten konnte – da half auch Rossis dramaturgisch kluge und äußerst abwechslungsreiche Vertonung nicht.


Al modo d’Orfeo

Bezaubern konnte Rossi viel eher durch Kompositionen in deutlich intimerem Format: Bei exklusiven Privatkonzerten kultivierte man im Palazzo Barberini und andernorts eine im frühen 17. Jahrhundert noch recht junge Form der vokalen Kammermusik für Solostimme und ein kleines begleitendes Ensemble aus Laute, Theorbe bzw. Chitarrone, Harfe oder Cembalo.

Die Instrumentalparts übernahmen Rossi – selbst ausgebildeter Sänger, aber vor allem für seine Virtuosität auf Tasteninstrumenten bekannt – und seine Frau Costanza da Ponte, eine herausragende Harfenistin, wahrscheinlich oft selbst. Sie steuerten lediglich das harmonische Grundgerüst bei, über dem sich die Gesangslinie entfalten konnte. Diese Aufteilung in vokale Melodie und instrumentale Begleitung über einer durchgehenden Basslinie war eine grundlegend neue Organisationsform des musikalischen Satzes, die sich um 1600 in Abgrenzung vom Stimmengeflecht der Vokalpolyphonie des vorangegangenen Jahrhunderts etabliert hatte – die Musikwissenschaft taufte sie später Monodie.

Knapp 300 solcher Werke schrieb Rossi, die in Abschriften in ganz Europa kursierten – darunter komplex gebaute wie Or che l’oscuro manto, in dem sich rezitativische und ariose Texturen frei aneinanderreihen, aber auch liedhafte, strophisch-geschlossene Kompositionen wie La bella più bella, in denen wiederkehrende Textabschnitte auch musikalisch als Refrain aufgegriffen werden. Rossis Formenvielfalt ist symptomatisch für eine Zeit des Umbruchs zwischen den linearen Verläufen des früheren Madrigals und den zyklischen Formen der späteren Arie, die auch eine Zeit der Erneuerung der zugrundeliegenden italienischen Lyrik war: Neben der unregelmäßigen Metrik der klassischen Madrigaldichtung entstanden zunehmend einheitlichere und periodisch wiederkehrende Akzentmuster, die ganz neue Möglichkeiten der Vertonung eröffneten. 


Von der Canzona zur Sonata

Von Carlo Gesualdo sind keine Werke im neueren, monodischen Stil bekannt. Der adlige Komponist blieb der fünf- oder sechsstimmigen Anlage des Cinquecento-Madrigals treu, auch wenn er mit seinen gewagten Kompositionen zu einem seiner innovativsten Erneuerer wurde. Dennoch war auch Gesualdos Musik am Hof der Barberini präsent – zumindest in instrumentalen Fassungen, dargeboten etwa von Girolamo Frescobaldi, dem führenden Cembalovirtuosen seiner Zeit, oder seinem deutschstämmigen Kollegen Giovanni Girolamo Kapsberger, die beide auf der Gehaltsliste von Antonios Bruder Francesco standen. Wahrscheinlich gehörte auch die vierstimmige Canzon francese del Principe zu ihrem Repertoire – eines von nur einer Handvoll Instrumentalwerken Gesualdos, der selbst ein ausgezeichneter Lautenist gewesen sein soll.

Insbesondere Kapsberger ist es zu verdanken, dass sich die Theorbe, damals häufig noch als „chitarone“ bezeichnet, neben ihrer begleitenden Funktion in der Continuo-Gruppe der neuen Monodie auch als virtuoses Soloinstrument etablierte. 1604 legte er die erste gedruckte Sammlung von Werken für Solotheorbe überhaupt vor, der viele weitere Bände folgen sollten; das Libro quarto d’intavolatura di chitarone von 1640 ist eine der letzten Veröffentlichungen des zu Lebzeiten für seine unnachahmliche Virtuosität gefeierten „Tedesco della tiorba“.

Als Titel für Instrumentalmusik wirkt die Bezeichnung Canzona bzw. Canzon heute etwas irreführend. Tatsächlich waren damit zunächst instrumentale Bearbeitungen mehrstimmiger, meist französischer Chansons gemeint (daher der Zusatz „francese“ bei Gesualdo); ab Mitte des 16. Jahrhunderts löste sich die Bezeichnung aber mehr und mehr von ihrem vokalen Ursprung und wurde als „Canzona a sonar“ auch für frei komponierte, mehrteilige Instrumentalwerke üblich, etwa die stilbildenden Canzonen Frescobaldis.

In dieser Tradition stand noch der in Messina wirkende Bernardo Storace, von dem nicht viel mehr überliefert ist als seine 1664 in Venedig erschienene Sammlung Selva di varie compositioni d’intavolatura per cimbalo ed organo, die neben der heute zu hörenden Passacaglia auch einige Canzonen enthält. Zu diesem Zeitpunkt war die Canzona allerdings schon fast vollständig von der „Sonata“ verdrängt worden, einer zunächst fast gleichbedeutend gebrauchten Gattungsbezeichnung, unter der sich aber im Lauf des Jahrhunderts eine eigene, charakteristische musikalische Form ausprägte, die spätestens mit den Sonatendrucken Arcangelo Corellis ab den 1680er Jahren weit über Italien hinaus Modellcharakter entwickelte.

Das hochklassige Musikleben am Palazzo Barberini fand schon kurz nach der Uraufführung von Rossis Il palazzo incantato mit dem Tod von Papst Urban VIII. ein jähes Ende. Als mit Innozenz X. ein Vertreter des verfeindeten Hauses Pamphilj den Heiligen Stuhl bestieg, mussten die Barberini fluchtartig die Stadt verlassen. Sie flohen an den französischen Hof, wo ihr ehemaliger Vertrauter Giulio Mazzarino – jetzt Jules Mazarin – mittlerweile Erster Minister unter Ludwig XIV. war. Mit den Barberini holte Mazarin auch zahlreiche italienische Künstler:innen nach Paris, darunter auch Rossi, der hier eine zweite Chance auf der Opernbühne bekam. Obwohl das Libretto zu L’Orfeo von Francesco Buti ähnlich konfus war, blieb die Uraufführung der ersten für französisches Publikum komponierten italienischen Oper 1647 noch bis ins 18. Jahrhundert in deutlich besserer Erinnerung.


Wer hat’s erfunden?

Wenn es nach Giulio Caccini ginge, sind die Ursprünge von Oper und begleitetem Sologesang im späten 16. Jahrhundert in erster Linie mit einem Namen verbunden – seinem eigenen. 1602 veröffentlichte der gebürtige Römer, der die längste Zeit seines Lebens am Hof der Medici in Florenz wirkte, den ersten Band einer Sammlung von Nuove musiche, in deren Vorwort er die Erfindung der Monodie ungeniert für sich allein reklamierte.

Mit der polyphonen Vokalmusik seiner Zeit könne er vor allem deshalb nichts anfangen, so Caccini, weil sie sich des „laceramento della poesia“ schuldig mache: Indem sie den kompositorischen Regeln des traditionellen Kontrapunkts den Vorrang einräumt – prima la musica –, „zerfleische“ sie den Sinnzusammenhang des Textes bis zur Unverständlichkeit. Deshalb habe er sich eine neue Art der Textvertonung einfallen lassen, die sich hinsichtlich des Umgangs mit Ge- und Verboten des Tonsatzes und den Konventionen des Gesangs in „una certa nobile sprezzatura“, vornehmer Verachtung also übt und stattdessen den In- und affektiven Gehalt des Gesungenen in den Mittelpunkt stellt, um wahrhaft in Musik zu sprechen.

Dabei ging es Caccini nicht um die madrigalistische Ausdeutung einzelner Worte. Stattdessen wird der emotionale Zustand des lyrischen Subjekts insgesamt zum Ausgangspunkt der musikalischen Erfindung. Befreit vom Kontrapunkt-Korsett des vorangegangenen Jahrhunderts folgen die Gesangslinien in Vertonungen wie Dovrò dunque morire oder Dolcissimo sospiro, angelehnt an den natürlichen Fluss sprachlicher Deklamation, seinen bzw. ihren Herzensregungen und Gefühlsausbrüchen. Und dabei ließen sich eben, erklärt Caccini, auch „alcune false“, einige nach dem überlieferten Regelwerk des Kontrapunkts „unerlaubte“ Dissonanzen, nicht vermeiden.

Daneben finden sich in den Nuove musiche auch Canzonetten-Vertonungen wie Ottavio Rinuccinis Non ha ’l ciel cotanti lumi oder Tu ch’ai le penne Amore, die Caccini „Arie“ nennt. Hier gehen das regelmäßige Akzent- und Reimschema des Textes und die strophische musikalische Gestaltung mit instrumentalen Zwischenritornellen eine neue, symbiotische Verbindung ein. Die Musik folgt dem Text, der aber ist von vorneherein schon auf seine Vertonung hin konzipiert.

Die frühesten Stücke der Nuove musiche, behauptet Caccini, entstanden bereits in den 1580er Jahren. Damals gehörte er den exklusiven Zirkeln um die Florentiner Gelehrten Giovanni de’ Bardi und Jacopo Corsi an, die Caccini als erster „Camerata“ nannte. Dort erprobte eine ganze Schar von Intellektuellen, Literaten und Musikern wie Jacopo Peri oder Emilio de’ Cavalieri das Potenzial des neuen monodischen Stils in Theorie und Praxis. Caccinis Beitrag zur Entwicklung der Kunst des „in armonia favellare“ ist unbestritten, allerdings dürften seine Mitstreiter – oder besser Gegenspieler – nicht begeistert gewesen sein von der cleveren Selbstinthronisierung als alleiniger musikalischer Innovator, der er 1614 mit dem zweiten Band der Nuove musiche nochmals Nachdruck verlieh – mit Erfolg, denn bis noch ins 20. Jahrhundert folgte die Musikwissenschaft seiner Version der Geschichte.


Signora degli Unisoni

Auch mit dem Namen Barbara Strozzi verband sich lange ein hartnäckiges Missverständnis – das der komponierenden Kurtisane, die ihre Dienste den männlichen Mitgliedern der venezianischen Elite anbot und bei deren Zusammenkünften auch mit ihren musikalischen Künsten unterhielt. Ganz abwegig ist diese Theorie nicht, stand nichtadeligen jungen Frauen, die wie Strozzi aufgrund ihrer unehelichen Geburt nicht als Ehefrau für „ehrbare“ Männer in Frage kamen, neben der Prostitution doch eigentlich nur der Weg ins Kloster offen – den wiederum die für den Eintritt zu entrichtende, horrend hohe Mitgift oft wieder versperrte.

Neuere biografische Forschung macht es heute allerdings wahrscheinlicher anzunehmen, dass es Strozzi auf bemerkenswerte und für ihre Zeit vielleicht einmalige Weise gelang, zwischen und um diese gesellschaftlichen Schranken herum einen eigenen, in hohem Maße selbstbestimmten und vor allem künstlerisch äußerst erfolgreichen Weg zu beschreiten.

Die Grundlage dafür legte ihr ebenso unehelich geborener Vater Giulio, der sich als Schriftsteller und Librettist Zugang zur intellektuellen Elite des im Vergleich zu Rom viel liberaler orientierten venezianischen Bürgertums erarbeitet hatte. Seine Tochter, der er eine musikalische Ausbildung bei Francesco Cavalli ermöglichte, beeindruckte mit ihrem Gesang schon als Jugendliche in den 1630er Jahren die Anwesenden bei den regelmäßigen Akademien in seinem Haus – so sehr, dass er wenig später mit der Accademia degli Unisoni eine neue Vereinigung ins Leben rief, deren Treffen nun ganz explizit Barbaras musikalischer Kunst eine Bühne boten. Dort präsentierte sie nicht nur ihre neuesten Kompositionen, sondern gab als „Signora degli Unisoni“, wie die Musikwissenschaftlerin Daria Perocco schreibt, auch den Ton bei den anschließenden Diskussionen an.

An eine größere Öffentlichkeit wandte sich Strozzi mit ihren Werken dann vor allem nach der Geburt ihrer vier Kinder und dem Tod ihres Vaters. Nicht weniger als acht Bände erschienen zwischen 1644 und 1659, die – abgesehen von Opus 1, einer Sammlung von fünfstimmigen Madrigalen – ausschließlich vokale Kammermusik für Solostimme (oder -stimmen) und Basso continuo enthalten, mehr als drei Viertel davon für ihre eigene Stimmlage Sopran. Damit publizierte Strozzi in diesem Genre mehr Musik als irgendeiner ihrer Zeitgenossen.

Innerhalb des ihr zur Verfügung stehenden musikalischen Rahmens nutzte Strozzi alle erdenklichen Spielarten des solistischen Gesangs, etwa in Tradimento aus op. 7, in dem sich auf engstem Raum kontrastierende musikalische Charaktere, Taktarten und Texturen abwechseln. In der Kantate Che si può fare aus op. 8 kommt eines ihrer liebsten kompositorischen Werkzeuge zum Einsatz: die viertönige, absteigende Basslinie, die seit Monteverdi zum musikalischen Signet des Klagegesangs geworden war. Für ihre Drucke konnte Strozzi durchweg äußerst prominente Widmungsträger:innen und damit auch Finanziers finden – ein weiteres Indiz gegen die Kurtisanen-Theorie, denn als solche hätte sie derart hochstehende Persönlichkeiten kaum für sich gewinnen können.

Das fast 15-minütige Lamento Sul Rodano severo aus Strozzis op. 2 ist nicht nur das mit Abstand längste Werk des heutigen Programms, auch sein Text stellt eine Ausnahme dar. Während es sonst fast ausschließlich um Liebesleid und Herzschmerz geht, handelt es sich hier um einen poetischen Kommentar zu einem aktuellen politischen Ereignis: König Ludwig XIII. von Frankreich findet „am harschen Ufer der Rhône“ die Leiche seines ehemaligen Günstlings Henri, Marquis de Cinq-Mars, der am französischen Hof eine Verschwörung gegen Premierminister Kardinal Richelieu angezettelt hatte und dafür von Ludwig zum Tode verurteilt worden war. Der geisterhafte Schatten des „schönen Heinrich“ hebt an zu einem erschütternden Klagegesang über sein Schicksal und die vorschnelle Verurteilung durch den König, der Ludwig vor Angst erzittern und in Paris die Erde beben lässt.

Hinter der Wahl dieses Sujets mag auch cleveres kulturpolitisches Kalkül gesteckt haben: Ihr Opus 2 widmete die Strozzi keinem Geringeren als Kaiser Ferdinand III. von Habsburg, notorisch verfeindet mit dem französischen Königshaus – er dürfte die Zueignung gerade dieses Werkes voller Schadenfreude und umso bereitwilliger angenommen haben.

 

Christoph Schaller studierte Musikwissenschaft und Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Nach freiberuflicher Tätigkeit als Programmheftautor für die Klangkörper des Bayerischen Rundfunks und andere Konzertveranstalter ist er seit 2017 Dramaturg am Pierre Boulez Saal.

Die Künstler:innen

Roberta Mameli
Sopran

Die in Rom geborene Roberta Mameli studierte Gesang und Violine am Conservatorio di Musica Giuseppe Nicolini in Piacenza und vervollständigte ihre Ausbildung durch Meisterkurse bei Bernadette Manca di Nissa, Ugo Benelli, Konrad Richter, Claudio Desderi und Enzo Dara. Sie gastiert heute an den wichtigsten Konzertsälen und Opernhäusern, darunter das Konzerthaus Wien und das Theater an der Wien, das Concertgebouw Amsterdam, die Cité de la Musique in Paris, das Gran Teatre del Liceu in Barcelona und die Londoner Wigmore Hall. Dabei trat sie u.a. unter der Leitung von Jordi Savall, Christopher Hogwood, Fabio Biondi, Ton Koopman und Claudio Abbado auf. Als Spezialistin für Alte Musik arbeitet sie regelmäßig mit Ensembles wie der Accademia Bizantina, Le Concert des Nations, La Venexiana, Europa Galante und I Barocchisti zusammen. Gemeinsam mit der Akademie für Alte Musik und Diego Fasolis feierte sie 2018 einen großen Erfolg mit der Titelrolle in Monteverdis L’incoronazione di Poppea an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Weitere Höhepunkte waren Auftritte als Belinda in Purcells Dido and Aeneas, in der Titelrolle von Leonardo Vincis Didone abbandonata sowie als Aci in Händels Aci, Galatea e Polifemo beim George Enescu Festival in Bukarest, in der Wigmore Hall in London und zuletzt im November 2023 im Pierre Boulez Saal.

Februar 2025


Margret Koell
Barockharfe

Margret Koell gehört zu den führenden Interpret:innen auf historischen Harfen. Sie ist Mitglied von Il Giardino Armonico und der Accademia Bizantina und tritt als Gastsolistin u.a. mit der Akademie für Alte Musik Berlin, B’Rock und Concerto Köln auf. Konzerte führten sie zu den Salzburger Festspielen, ans Royal Opera House Covent Garden, das Theater an der Wien, das Palais Garnier in Paris, die Bayerische Staatsoper München, die Mailänder Scala und bereits mehrfach in den Pierre Boulez Saal. Ein besonderer Höhepunkt war ihr Auftritt mit Countertenor Philippe Jaroussky zur Eröffnung der Elbphilharmonie Hamburg. Zu ihren musikalischen Partner:innen zählen außerdem Luca Pianca, Stefan Temmingh, Dmitry Sinkonvsky, Michele Pasotti, Benedikt Kristjánsson, Roberta Invernizzi, Isabelle Faust und Sonia Prina. Margret Koells Aufnahmen wurden u.a. mit dem Diapason d’Or ausgezeichnet. Im Pierre Boulez Saal präsentierte sie zuletzt gemeinsam mit Stefan Temmingh das Programm Sound Stories, das mittlerweile auch auf CD erschienen ist.

Februar 2025


Michele Pasotti
Laute und Theorbe

Michele Pasotti zählt zu den bedeutendsten Lautenisten seiner Generation. Er erhielt seine Ausbildung bei Massimo Lonardi, ergänzt durch Meisterkurse bei Hopkinson Smith, Paul O’Dette und Tiziano Bagnati. Weitere Studien zur italienischen Kammermusik des Barock absolvierte er bei Laura Alvini, zur Musiktheorie der Renaissance bei Diego Fratelli sowie zur Theorie und Praxis der Musik des späten Mittelalters bei Kees Boeke und Pedro Memelsdorff. An der Universität von Pavia erwarb er außerdem einen Abschluss in Philosophie. Michele Pasotti unterrichtete an zahlreichen Hochschulen und ist Professor für Laute am Konservatorium von Cesena. Er ist Gründer und Leiter des Ensembles La fonte musica, mit dem er seit mehreren Jahren regelmäßig im Pierre Boulez Saal zu Gast ist, und tritt darüber hinaus auch mit anderen namhaften Ensembles für Alte Music auf, darunter Il Giardino Armonico, I Barocchisti, Les Musiciens du Louvre, das Collegium Vocale Gent, die Akademie für Alte Musik Berlin und das Sheridan Ensemble. Dabei arbeitete er u.a. mit Claudio Abbado, Giovanni Antonini, Philippe Herreweghe, Barthold Kujiken, Diego Fasolis, Andrea Marcon, Monica Huggett, Nathalie Stutzmann und vielen anderen zusammen.

Februar 2025

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