Rudolf Buchbinder Klavier

Programm

Neue Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli (2020)

Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Klaviersonate f-moll op. 57 „Appassionata“

Franz Schubert (1797–1828)
Klaviersonate B-Dur D 960

Anton Diabelli (1781–1858)
Walzer C-Dur (1819)

Neue Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli (2020)

Lera Auerbach (*1973)
Diabellical Waltz

Brett Dean (*1961)
Variation for Rudi (on a well-known waltz by Anton Diabelli)

Toshio Hosowaka (*1955)
Verlust

Christian Jost (*1963)
Rock It, Rudi!

Brad Lubmann (*1962)
Variation for R.B.

Philippe Manoury (*1952)
Zwei Jahrhunderte später...

Max Richter (*1968)
Diabelli

Rodion Shchedrin (*1932)
Variation on a Theme by Anton Diabelli

Johannes Maria Staud (*1974)
À propos ... de Diabelli

Tan Dun (*1957)
Blue Orchid

Jörg Widmann (*1973)
Diabelli-Variation

 


Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Klaviersonate f-moll op. 57 „Appassionata“ (1804–05)

I. Allegro assai
II. Andante con moto –
III. Allegro ma non troppo – Presto

 

Pause

 

Franz Schubert (1797–1828)
Klaviersonate B-Dur D 960 (1828)

I. Molto moderato
II. Andante sostenuto
III. Scherzo. Allegro vivace con delicatezza
IV. Allegro ma non troppo

 

Zugaben:

Alfred Grünfeld (1852–1924)
Soirée de Vienne op. 56
Konzertparaphrase nach Walzermotiven von Johann Strauß

Ludwig van Beethoven
aus der Klaviersonate d-moll op. 31 Nr. 2 "Der Sturm"

III. Allegretto

 

Die Neuen Diabelli-Variationen sind ein Kompositionsauftrag von Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Brucknerhaus Linz, Centro Nacional de Difusión Musical Madrid, Gewandhaus zu Leipzig, Fundação Calouste Gulbenkian Lissabon, National Centre for the Performing Arts Peking, Palau de la Música Catalana Barcelona, Philharmonie de Paris, Stars of the White Nights Festival St. Petersburg, Stiftung Klavier-Festival Ruhr und Tonhalle-Gesellschaft Zürich, gefördert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung.

Anton Diabelli (1781–1858)
Walzer C-Dur (1819)

Neue Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli (2020)

Lera Auerbach (*1973)
Diabellical Waltz

Brett Dean (*1961)
Variation for Rudi (on a well-known waltz by Anton Diabelli)

Toshio Hosowaka (*1955)
Verlust

Christian Jost (*1963)
Rock It, Rudi!

Brad Lubmann (*1962)
Variation for R.B.

Philippe Manoury (*1952)
Zwei Jahrhunderte später...

Max Richter (*1968)
Diabelli

Rodion Shchedrin (*1932)
Variation on a Theme by Anton Diabelli

Johannes Maria Staud (*1974)
À propos ... de Diabelli

Tan Dun (*1957)
Blue Orchid

Jörg Widmann (*1973)
Diabelli-Variation

 


Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Klaviersonate f-moll op. 57 „Appassionata“ (1804–05)

I. Allegro assai
II. Andante con moto –
III. Allegro ma non troppo – Presto

 

Pause

 

Franz Schubert (1797–1828)
Klaviersonate B-Dur D 960 (1828)

I. Molto moderato
II. Andante sostenuto
III. Scherzo. Allegro vivace con delicatezza
IV. Allegro ma non troppo

 

Zugaben:

Alfred Grünfeld (1852–1924)
Soirée de Vienne op. 56
Konzertparaphrase nach Walzermotiven von Johann Strauß

Ludwig van Beethoven
aus der Klaviersonate d-moll op. 31 Nr. 2 "Der Sturm"

III. Allegretto

 

Die Neuen Diabelli-Variationen sind ein Kompositionsauftrag von Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Brucknerhaus Linz, Centro Nacional de Difusión Musical Madrid, Gewandhaus zu Leipzig, Fundação Calouste Gulbenkian Lissabon, National Centre for the Performing Arts Peking, Palau de la Música Catalana Barcelona, Philharmonie de Paris, Stars of the White Nights Festival St. Petersburg, Stiftung Klavier-Festival Ruhr und Tonhalle-Gesellschaft Zürich, gefördert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung.

Ludwig van Beethoven, Ausschnitt aus einem Portrait von Josef Willibrord Mähler, um 1804–05 (© Wien Museum, Foto: Birgit und Peter Kainz)

„Zwei Jahrhunderte später …“

Als „Leitmotiv“ seines künstlerischen Lebens bezeichnete Rudolf Buchbinder einmal Beethovens „Diabelli-Variationen“. Zum 250. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2020 gab der österreichische Pianist elf neue Variationen über Diabellis berühmten Walzer bei prominenten Komponist:innen unserer Zeit in Auftrag. Anlässlich seines Debüts im Pierre Boulez Saal stellt er sie Beethovens „Appassionata“ und der letzten Klaviersonate von Franz Schubert gegenüber.

Essay von Wolfgang Stähr

„Zwei Jahrhunderte später …“
Variationen und Sonaten für Klavier

Wolfgang Stähr


Lauter letzte Walzer: Diabellis Erben

Die Geschichte nimmt kein Ende oder: Kleine Ursache, große Wirkung. 1819 verschickte der Wiener Verleger Anton Diabelli einen selbstkomponierten Walzer an namhafte Musiker und bat jeden von ihnen um eine Variation über sein Thema, jeweils eine nur, sammelte sie, vereinte sie in einem Band und veröffentlichte sie unter dem Titel des „Vaterländischen Tonkünstlervereins“. Kalkbrenner, Czerny, Moscheles, Mozart junior, Schubert, der ganz junge Liszt und Erzherzog Rudolph höchstselbst waren mit von der Partie und variierten den Walzer des Herrn Diabelli. Auch Ludwig van Beethoven wurde gefragt, antwortete jedoch nicht mit einer, sondern gleich mit 33 „Veränderungen“, die folgerichtig als eigenes Opus an die Öffentlichkeit kamen und alle anderen Beiträge für immer in den Schatten stellten. Hans von Bülow – der übrigens der Erste gewesen sein soll, der Beethovens „Diabelli-Variationen“ op. 120 im Konzert spielte, am 25. November 1856 in Berlin – bezeichnete dieses Werk als den „Mikrokosmos des Beethovenschen Genius“, ja es handele sich sogar um „ein Abbild der ganzen Tonwelt im Auszug“. Und der Grund dafür war Diabellis Walzer, der gemeinhin als Paradebeispiel unfreiwilliger Komik und talentlosen Komponierens gilt. Warum eigentlich? Genauso gut könnte er als humoristische Provokation oder musikalische Satire gehört werden. Jedenfalls scheint er wie kaum ein zweites Sujet die Phantasie von Komponist:innen anzuregen. Bis heute.

Rudolf Buchbinder hat Beethovens Variationen in den vergangenen Jahrzehnten so oft aufgeführt und mehrfach aufgenommen, dass ihn die Kolleg:innen mit dem liebevoll spöttischen Alias „Monsieur Diabelli“ bedacht haben. Als Buchbinder vor 50 Jahren in Berlin zum ersten Mal die „33 Veränderungen“ einspielte, ergänzte er das Album wie selbstverständlich um die kaum bekannten und fast vergessenen 50 Variationen der Zeitgenossen. Im Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 aber wollte er nicht bloß als Wiederholungstäter in Erscheinung treten, und deshalb entschlosss sich Buchbinder, die verschiedensten Komponist:innen anzusprechen und zu neuen Variationen über ein altes Thema zu ermuntern. Doch anders als einst Diabelli, der vor einem patriotisch begrenzten Horizont nur „Tonsetzer und Virtuosen Wien’s und der k. k. oesterreichischen Staaten“ zu seiner „vaterländischen“ Unternehmung einlud, sprach Buchbinder mit Musiker:innen aus aller Welt. Neben Deutschen, einem Österreicher, einem Franzosen, einem Amerikaner, einer Russin und einem Russen beteiligten sich der Australier Brett Dean, der Japaner Toshio Hosokawa und der Chinese Tan Dun an Buchbinders Projekt.

Rodion Schtschedrin, Moskauer des Jahrgangs 1932, ist der älteste unter ihnen: Seine Variation pendelt zwischen skurriler Fingerübung und Miniaturchoreographie. Der 1974 in Innsbruck geborene Johannes Maria Staud, der jüngste von allen, setzt einen wahren musikalischen Horrorclown in Szene. Die erste, längste und finsterste Variation aber schuf die vor 50 Jahren in Tscheljabinsk im Ural geborene Lera Auerbach, die sich in ihrer Musik ohnehin mit Engeln und Dämonen auskennt. Ihr Titel Diabellical Waltz klingt nicht von ungefähr wie „diabolischer Walzer“ und erinnert nebenbei an die anekdotische Überlieferung, wonach Diabelli in Wien scherzhaft als „Diabolus in musica“ begrüßt wurde. Während Christian Jost zu einem dröhnenden, basslastigen Tanz aufspielt (Rock It, Rudi!), kultiviert Max Richter diskrete, puristische Tonspiele. Der Amerikaner Brad Lubman zerlegt das Thema in seine Einzelteile, der Franzose Philippe Manoury greift Beethovens Obsession mit dem Tempo auf und notiert zwölf verschiedene Metronomangaben. Hosokawa nennt sein Stück Verlust, er lässt Nachklänge einer versunkenen Kultur ertönen, unterlegt mit fernen Detonationen. Tan Duns rätselhafte Blue Orchid wirkt wie ein Ruf in einem unendlich leeren Raum, wie eine Frage ohne Antwort. Zu guter Letzt reizt Jörg Widmann das parodistische Potential des Walzers aus, ergeht sich in Wiener Schmäh, assoziiert Strauß und Strauss, enthüllt (wie übrigens auch Staud) eine motivische Nähe zum Radetzky-Marsch und wechselt zwischendurch zum Boogie-Woogie. Am 3. März 2020 brachte Rudolf Buchbinder die hinreißenden, umwerfenden, hintersinnigen und abgründigen Variationen im Wiener Musikverein zur Uraufführung, kurz vor Toresschluss.

 

Heulen und Toben: Beethovens böse Geister

Zwei Jahrhunderte später… überschreibt Philippe Manoury seine „Diabelli-Variation“. Zwei Jahrhunderte und ein paar Jahre früher landen wir in einer tollkühnen Experimentierphase des Klavierspiels, als die Grenzen der Mechanik, der Akustik, der Kommunikation, der Selbstdarstellung nicht bloß verschoben, sondern geradezu niedergewalzt wurden. In den Wiener Salons fanden die beliebten Zweikämpfe zwischen prominenten Tastenvirtuosen statt. Als Protegé des Fürsten Lichnowsky musste sich Beethoven mit Joseph Gelinek, dem Hauspianisten des Grafen Kinsky, duellieren. Der Sieg war sein – der Unterlegene gestand freimütig die vernichtende Niederlage ein. „In dem jungen Menschen steckt der Satan“, sprach Gelinek mit banger Bewunderung. „Nie hab’ ich so spielen gehört! Er fantasierte auf ein von mir gegebenes Thema, wie ich selbst Mozart nie fantasieren gehört habe. Dann spielte er eigene Compositionen, die im höchsten Grade wunderbar und großartig sind, und er bringt auf dem Clavier Schwierigkeiten und Effecte hervor, von denen wir uns nie haben etwas träumen lassen.“

Der Satan! Den fürchtete offenbar auch ein zeitgenössischer Rezensent der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung, als er 1807 die gerade erschienene Klaviersonate f-moll op. 57 begutachtete und beklagte, Beethoven habe im ersten Satz „viele böse Geister losgelassen“. Das ist die eine, allerdings vorherrschende, buchstäblich überwältigende Seite dieses Werks: der balladeske Ton, das finstere Kolorit, die kaum je aufgehellte Moll-Sphäre, die eigenartig durch die Oktaven schweifenden Unisoni, wie rituelle Beschwörungen, der zerklüftete und zerrissene, in die Extreme abdriftende Klaviersatz, synkopische Akkordschläge wie Gewaltakte, monotone rhythmische Formeln, die Auflösung der Themen in schierer, davonstürmender Bewegung, Passagen ins Nirgendwo. Beethoven hat in seiner Sonate Effekte und Schwierigkeiten angehäuft, wie sie tatsächlich kein Rezensent oder Konkurrent erträumt hätte (und sei es in Albträumen). Über die eruptive Eingebung und Erprobung des Finales berichtet Beethovens Schüler Ferdinand Ries, sein Lehrer habe zuerst auf einem gemeinsamen Spaziergang „für sich gebrummt oder theilweise geheult, immer herauf und herunter“; daheim habe er sich sofort ans Klavier gesetzt: „Nun tobte er wenigstens eine Stunde lang über das neue, so schön dastehende Finale in dieser Sonate.“

„Sonata appassionata“ taufte sie, nach Beethovens Tod, der Hamburger Verleger August Heinrich Cranz. Wilde Leidenschaften, böse Geister, heulende Stimmen, Erscheinungen aus der Unterwelt, Raserei: ein schreckenerregendes Pandämonium tobt sich aus in dieser Musik, die dennoch – und das ist die andere Seite – geradezu mathematisch strikt und metrisch klar in geprägte Formen und abgezählte Takte eingehegt wird. Was heißt das? Erschüttert Beethoven die überkommene Ordnung, oder bezwingt er den Aufruhr der Passionen mit souveräner Kunst? Feiert er die Freiheit ungehemmter Subjektivität oder den Triumph des Geistes über die brodelnde Materie? Zwischen die raunenden, tosenden, rasenden, wütenden Ecksätze stellt Beethoven drei Variationen über ein Thema oder, besser gesagt, über kein Thema: über eine sonore, gesanglose Akkordfolge, die sich nach und nach in immer kleineren Notenwerten verflüchtigt und in lichtere Gefilde aufsteigt. Trotzdem hat der Kirchenmusiker und Volksliedkomponist Friedrich Silcher gerade dieses Thema textiert und für eine Singstimme mit Klavierbegleitung „eingerichtet“. Ein zweiter Arrangeur weitete Silchers Lied zum Männerchor: „Heilge Nacht, o gieße du Himmelsfrieden in dies Herz! bring’ dem armen Pilger Ruh’, holde Labung seinem Schmerz!“ Diese Hymne wurde einst viel gesungen, zwei Jahrhunderte früher.

 

In die Tiefe gelockt: Schuberts letzter Sommer

1828, mit Anfang 30, im letzten Sommer seines viel zu kurzen Lebens, komponierte Franz Schubert die drei Klaviersonaten in c-moll, A-Dur und B-Dur, vergleichbar einem dreiteiligen Opus der Barockzeit. Todesahnungen, ja Todessehnsucht, Weltschmerz und Erlösungsphantasien finden sich schon in den Werken des noch jüngeren Schubert. Mit der Diagnose einer venerischen Krankheit jedoch, mit den Schrecken der unheilvollen Heilverfahren, mit Spital und Quecksilberkur senkte sich die Finsternis auf seine Musik, die schwärzeste Verzweiflung, aus der es kein Entkommen mehr gab, nur den Sturz in eine fiebrig überhitzte Produktivität oder den Traumpfad hinaus auf die andere Seite der Wirklichkeit: namentlich in der letzten, der B-Dur-Sonate, die sich wie in Trance zu bewegen scheint, langsam und gedämpft, von merkwürdigen Stimmen, Zeichen, Zurufen aus der Tiefe geleitet, in die Tiefe gelockt.

Wer am Beginn einer Sonate ein markantes und energisch vorgetragenes Hauptthema erwartete, müsste bei Schuberts Sonate B-Dur D 960 zu der Ansicht gelangen, den Anfang verpasst zu haben: Denn wie ein Seitengedanke mutet die ruhige, gesangliche und von einer stillen Feierlichkeit erfüllte Melodie an, mit der das Molto moderato anhebt. Der weltabgewandte Charakter dieses Themas, die sanft pendelnde Tonbewegung der ersten Takte – all dies erscheint wie die unspektakuläre Absage an eine dynamische und zielgerichtete Sonatenlogik. Zutiefst irrational ereignet sich vielmehr das musikalische Geschehen, unbegreiflich wie jener Basstriller, der erstmals im achten Takt zu hören ist und der den Satz als eine unheimliche, unterschwellig lenkende Instanz zu beherrschen scheint, wenn etwa auf sein „Geheiß“ gegen Ende der Durchführung das Hauptthema zurückkehrt. Solche wie ein bedrohlicher Zwang einwirkenden „Weisungen“ oder „Signale“ finden sich auch im weiteren Verlauf der Sonate: in Gestalt einer auftaktigen Sechzehntelfigur im Bass, die den Schlussteil des langsamen Satzes aus dem Untergrund verfolgt; und als herrisch intervenierender Oktavklang, der im Finalrondo die agile, vorwärtsdrängende Motivik des Refrains machtvoll in Gang setzt oder ihr Einhalt gebietet.

Am 26. September 1828, wenige Wochen vor seinem Tod, konnte Franz Schubert das Finale der B-Dur-Sonate und damit die gesamte Sonatentrias abschließen. Obwohl er sich danach sogleich um eine Publikation bemühte, verstrich fast ein Jahrzehnt, ehe im Frühjahr 1838 Anton Diabelli die drei Sonaten als „Franz Schubert’s allerletzte Composition“ postum veröffentlichte – ein faktisch unzutreffender Titel, der wohl die Assoziation von „letzten Worten“ und künstlerischem Vermächtnis wachrufen sollte. Diese Ausgabe erschien mit einer Widmung an Robert Schumann. Und der wusste nur zu genau: „Die Zeit, so zahllos und Schönes sie gebiert, einen Schubert bringt sie so bald nicht wieder.“
 

Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur. Er verfasste Buchbeiträge zur Bach- und Beethoven-Rezeption sowie über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler und publizierte Essays und Werkkommentare für die Festspiele in Salzburg, Grafenegg, Luzern, Würzburg und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, für Rundfunkanstalten, Schallplattengesellschaften, Konzert- und Opernhäuser.

„Zwei Jahrhunderte später …“
Variationen und Sonaten für Klavier

Wolfgang Stähr


Lauter letzte Walzer: Diabellis Erben

Die Geschichte nimmt kein Ende oder: Kleine Ursache, große Wirkung. 1819 verschickte der Wiener Verleger Anton Diabelli einen selbstkomponierten Walzer an namhafte Musiker und bat jeden von ihnen um eine Variation über sein Thema, jeweils eine nur, sammelte sie, vereinte sie in einem Band und veröffentlichte sie unter dem Titel des „Vaterländischen Tonkünstlervereins“. Kalkbrenner, Czerny, Moscheles, Mozart junior, Schubert, der ganz junge Liszt und Erzherzog Rudolph höchstselbst waren mit von der Partie und variierten den Walzer des Herrn Diabelli. Auch Ludwig van Beethoven wurde gefragt, antwortete jedoch nicht mit einer, sondern gleich mit 33 „Veränderungen“, die folgerichtig als eigenes Opus an die Öffentlichkeit kamen und alle anderen Beiträge für immer in den Schatten stellten. Hans von Bülow – der übrigens der Erste gewesen sein soll, der Beethovens „Diabelli-Variationen“ op. 120 im Konzert spielte, am 25. November 1856 in Berlin – bezeichnete dieses Werk als den „Mikrokosmos des Beethovenschen Genius“, ja es handele sich sogar um „ein Abbild der ganzen Tonwelt im Auszug“. Und der Grund dafür war Diabellis Walzer, der gemeinhin als Paradebeispiel unfreiwilliger Komik und talentlosen Komponierens gilt. Warum eigentlich? Genauso gut könnte er als humoristische Provokation oder musikalische Satire gehört werden. Jedenfalls scheint er wie kaum ein zweites Sujet die Phantasie von Komponist:innen anzuregen. Bis heute.

Rudolf Buchbinder hat Beethovens Variationen in den vergangenen Jahrzehnten so oft aufgeführt und mehrfach aufgenommen, dass ihn die Kolleg:innen mit dem liebevoll spöttischen Alias „Monsieur Diabelli“ bedacht haben. Als Buchbinder vor 50 Jahren in Berlin zum ersten Mal die „33 Veränderungen“ einspielte, ergänzte er das Album wie selbstverständlich um die kaum bekannten und fast vergessenen 50 Variationen der Zeitgenossen. Im Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 aber wollte er nicht bloß als Wiederholungstäter in Erscheinung treten, und deshalb entschlosss sich Buchbinder, die verschiedensten Komponist:innen anzusprechen und zu neuen Variationen über ein altes Thema zu ermuntern. Doch anders als einst Diabelli, der vor einem patriotisch begrenzten Horizont nur „Tonsetzer und Virtuosen Wien’s und der k. k. oesterreichischen Staaten“ zu seiner „vaterländischen“ Unternehmung einlud, sprach Buchbinder mit Musiker:innen aus aller Welt. Neben Deutschen, einem Österreicher, einem Franzosen, einem Amerikaner, einer Russin und einem Russen beteiligten sich der Australier Brett Dean, der Japaner Toshio Hosokawa und der Chinese Tan Dun an Buchbinders Projekt.

Rodion Schtschedrin, Moskauer des Jahrgangs 1932, ist der älteste unter ihnen: Seine Variation pendelt zwischen skurriler Fingerübung und Miniaturchoreographie. Der 1974 in Innsbruck geborene Johannes Maria Staud, der jüngste von allen, setzt einen wahren musikalischen Horrorclown in Szene. Die erste, längste und finsterste Variation aber schuf die vor 50 Jahren in Tscheljabinsk im Ural geborene Lera Auerbach, die sich in ihrer Musik ohnehin mit Engeln und Dämonen auskennt. Ihr Titel Diabellical Waltz klingt nicht von ungefähr wie „diabolischer Walzer“ und erinnert nebenbei an die anekdotische Überlieferung, wonach Diabelli in Wien scherzhaft als „Diabolus in musica“ begrüßt wurde. Während Christian Jost zu einem dröhnenden, basslastigen Tanz aufspielt (Rock It, Rudi!), kultiviert Max Richter diskrete, puristische Tonspiele. Der Amerikaner Brad Lubman zerlegt das Thema in seine Einzelteile, der Franzose Philippe Manoury greift Beethovens Obsession mit dem Tempo auf und notiert zwölf verschiedene Metronomangaben. Hosokawa nennt sein Stück Verlust, er lässt Nachklänge einer versunkenen Kultur ertönen, unterlegt mit fernen Detonationen. Tan Duns rätselhafte Blue Orchid wirkt wie ein Ruf in einem unendlich leeren Raum, wie eine Frage ohne Antwort. Zu guter Letzt reizt Jörg Widmann das parodistische Potential des Walzers aus, ergeht sich in Wiener Schmäh, assoziiert Strauß und Strauss, enthüllt (wie übrigens auch Staud) eine motivische Nähe zum Radetzky-Marsch und wechselt zwischendurch zum Boogie-Woogie. Am 3. März 2020 brachte Rudolf Buchbinder die hinreißenden, umwerfenden, hintersinnigen und abgründigen Variationen im Wiener Musikverein zur Uraufführung, kurz vor Toresschluss.

 

Heulen und Toben: Beethovens böse Geister

Zwei Jahrhunderte später… überschreibt Philippe Manoury seine „Diabelli-Variation“. Zwei Jahrhunderte und ein paar Jahre früher landen wir in einer tollkühnen Experimentierphase des Klavierspiels, als die Grenzen der Mechanik, der Akustik, der Kommunikation, der Selbstdarstellung nicht bloß verschoben, sondern geradezu niedergewalzt wurden. In den Wiener Salons fanden die beliebten Zweikämpfe zwischen prominenten Tastenvirtuosen statt. Als Protegé des Fürsten Lichnowsky musste sich Beethoven mit Joseph Gelinek, dem Hauspianisten des Grafen Kinsky, duellieren. Der Sieg war sein – der Unterlegene gestand freimütig die vernichtende Niederlage ein. „In dem jungen Menschen steckt der Satan“, sprach Gelinek mit banger Bewunderung. „Nie hab’ ich so spielen gehört! Er fantasierte auf ein von mir gegebenes Thema, wie ich selbst Mozart nie fantasieren gehört habe. Dann spielte er eigene Compositionen, die im höchsten Grade wunderbar und großartig sind, und er bringt auf dem Clavier Schwierigkeiten und Effecte hervor, von denen wir uns nie haben etwas träumen lassen.“

Der Satan! Den fürchtete offenbar auch ein zeitgenössischer Rezensent der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung, als er 1807 die gerade erschienene Klaviersonate f-moll op. 57 begutachtete und beklagte, Beethoven habe im ersten Satz „viele böse Geister losgelassen“. Das ist die eine, allerdings vorherrschende, buchstäblich überwältigende Seite dieses Werks: der balladeske Ton, das finstere Kolorit, die kaum je aufgehellte Moll-Sphäre, die eigenartig durch die Oktaven schweifenden Unisoni, wie rituelle Beschwörungen, der zerklüftete und zerrissene, in die Extreme abdriftende Klaviersatz, synkopische Akkordschläge wie Gewaltakte, monotone rhythmische Formeln, die Auflösung der Themen in schierer, davonstürmender Bewegung, Passagen ins Nirgendwo. Beethoven hat in seiner Sonate Effekte und Schwierigkeiten angehäuft, wie sie tatsächlich kein Rezensent oder Konkurrent erträumt hätte (und sei es in Albträumen). Über die eruptive Eingebung und Erprobung des Finales berichtet Beethovens Schüler Ferdinand Ries, sein Lehrer habe zuerst auf einem gemeinsamen Spaziergang „für sich gebrummt oder theilweise geheult, immer herauf und herunter“; daheim habe er sich sofort ans Klavier gesetzt: „Nun tobte er wenigstens eine Stunde lang über das neue, so schön dastehende Finale in dieser Sonate.“

„Sonata appassionata“ taufte sie, nach Beethovens Tod, der Hamburger Verleger August Heinrich Cranz. Wilde Leidenschaften, böse Geister, heulende Stimmen, Erscheinungen aus der Unterwelt, Raserei: ein schreckenerregendes Pandämonium tobt sich aus in dieser Musik, die dennoch – und das ist die andere Seite – geradezu mathematisch strikt und metrisch klar in geprägte Formen und abgezählte Takte eingehegt wird. Was heißt das? Erschüttert Beethoven die überkommene Ordnung, oder bezwingt er den Aufruhr der Passionen mit souveräner Kunst? Feiert er die Freiheit ungehemmter Subjektivität oder den Triumph des Geistes über die brodelnde Materie? Zwischen die raunenden, tosenden, rasenden, wütenden Ecksätze stellt Beethoven drei Variationen über ein Thema oder, besser gesagt, über kein Thema: über eine sonore, gesanglose Akkordfolge, die sich nach und nach in immer kleineren Notenwerten verflüchtigt und in lichtere Gefilde aufsteigt. Trotzdem hat der Kirchenmusiker und Volksliedkomponist Friedrich Silcher gerade dieses Thema textiert und für eine Singstimme mit Klavierbegleitung „eingerichtet“. Ein zweiter Arrangeur weitete Silchers Lied zum Männerchor: „Heilge Nacht, o gieße du Himmelsfrieden in dies Herz! bring’ dem armen Pilger Ruh’, holde Labung seinem Schmerz!“ Diese Hymne wurde einst viel gesungen, zwei Jahrhunderte früher.

 

In die Tiefe gelockt: Schuberts letzter Sommer

1828, mit Anfang 30, im letzten Sommer seines viel zu kurzen Lebens, komponierte Franz Schubert die drei Klaviersonaten in c-moll, A-Dur und B-Dur, vergleichbar einem dreiteiligen Opus der Barockzeit. Todesahnungen, ja Todessehnsucht, Weltschmerz und Erlösungsphantasien finden sich schon in den Werken des noch jüngeren Schubert. Mit der Diagnose einer venerischen Krankheit jedoch, mit den Schrecken der unheilvollen Heilverfahren, mit Spital und Quecksilberkur senkte sich die Finsternis auf seine Musik, die schwärzeste Verzweiflung, aus der es kein Entkommen mehr gab, nur den Sturz in eine fiebrig überhitzte Produktivität oder den Traumpfad hinaus auf die andere Seite der Wirklichkeit: namentlich in der letzten, der B-Dur-Sonate, die sich wie in Trance zu bewegen scheint, langsam und gedämpft, von merkwürdigen Stimmen, Zeichen, Zurufen aus der Tiefe geleitet, in die Tiefe gelockt.

Wer am Beginn einer Sonate ein markantes und energisch vorgetragenes Hauptthema erwartete, müsste bei Schuberts Sonate B-Dur D 960 zu der Ansicht gelangen, den Anfang verpasst zu haben: Denn wie ein Seitengedanke mutet die ruhige, gesangliche und von einer stillen Feierlichkeit erfüllte Melodie an, mit der das Molto moderato anhebt. Der weltabgewandte Charakter dieses Themas, die sanft pendelnde Tonbewegung der ersten Takte – all dies erscheint wie die unspektakuläre Absage an eine dynamische und zielgerichtete Sonatenlogik. Zutiefst irrational ereignet sich vielmehr das musikalische Geschehen, unbegreiflich wie jener Basstriller, der erstmals im achten Takt zu hören ist und der den Satz als eine unheimliche, unterschwellig lenkende Instanz zu beherrschen scheint, wenn etwa auf sein „Geheiß“ gegen Ende der Durchführung das Hauptthema zurückkehrt. Solche wie ein bedrohlicher Zwang einwirkenden „Weisungen“ oder „Signale“ finden sich auch im weiteren Verlauf der Sonate: in Gestalt einer auftaktigen Sechzehntelfigur im Bass, die den Schlussteil des langsamen Satzes aus dem Untergrund verfolgt; und als herrisch intervenierender Oktavklang, der im Finalrondo die agile, vorwärtsdrängende Motivik des Refrains machtvoll in Gang setzt oder ihr Einhalt gebietet.

Am 26. September 1828, wenige Wochen vor seinem Tod, konnte Franz Schubert das Finale der B-Dur-Sonate und damit die gesamte Sonatentrias abschließen. Obwohl er sich danach sogleich um eine Publikation bemühte, verstrich fast ein Jahrzehnt, ehe im Frühjahr 1838 Anton Diabelli die drei Sonaten als „Franz Schubert’s allerletzte Composition“ postum veröffentlichte – ein faktisch unzutreffender Titel, der wohl die Assoziation von „letzten Worten“ und künstlerischem Vermächtnis wachrufen sollte. Diese Ausgabe erschien mit einer Widmung an Robert Schumann. Und der wusste nur zu genau: „Die Zeit, so zahllos und Schönes sie gebiert, einen Schubert bringt sie so bald nicht wieder.“
 

Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur. Er verfasste Buchbeiträge zur Bach- und Beethoven-Rezeption sowie über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler und publizierte Essays und Werkkommentare für die Festspiele in Salzburg, Grafenegg, Luzern, Würzburg und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, für Rundfunkanstalten, Schallplattengesellschaften, Konzert- und Opernhäuser.

Moritz von Schwind, Ein Schubert-Abend in Wien (um 1868)

Music about Music

Rudolf Buchbinder once referred to Beethoven’s “Diabelli” Variations as the “leitmotif ” of his artistic life. To commemorate the composer’s 250th birthday in 2020, the Austrian pianist commissioned eleven new variations on Diabelli’s famous waltz from some of today’s leading composers. For his Pierre Boulez Saal debut, he combines these works with Beethoven’s “Appassionata” and Schubert’s final piano sonata.

Essay by Thomas May

Music about Music
Rudolf Buchbinder’s Diabelli Project

Thomas May


“We present here to the world variations of no ordinary type, but a great and important masterpiece worthy to be ranked with the imperishable creations of the old Classics,” wrote the music publisher and composer Anton Diabelli in 1823 in the preface to 33 Variations on a Waltz by Anton Diabelli, the work through which his name would be immortalized.

Diabelli had penned a simple C-major tune in triple time, most of which more closely resembles an accompaniment, and shared it with a wide range of composers throughout the Austrian empire, soliciting each to contribute a single variation on this waltz (or ländler, as some have described it). But the proposal set Ludwig van Beethoven’s imagination on fire. It served as the impetus for what is, alongside the “Hammerklavier” Sonata, the longest and most far-reaching composition he ever wrote for solo piano.

Diabelli published Beethoven’s contribution, a gargantuan set of 33 variations, as the first part of the original project; an anthology of the variations submitted by 50 other composers constituted the second part, which appeared in 1824 as a patriotic effort to raise money for orphans and widows in the aftermath of the Napoleonic Wars (as well as to steer attention to the publishing firm in which Diabelli had recently been named a partner).

“For me, the ‘Diabelli’ Variations are perhaps Beethoven’s most exciting work,” says Rudolf Buchbinder, adding: “They are music about music.” By this, the pianist refers to Beethoven’s intertextual allusions to a spectrum ranging from Bach’s “Goldberg” Variations through Haydn and Mozart to his own final Piano Sonata Op. 111. But he also draws attention to the composer’s unflagging ability to transform musical components into something unexpected: the term Beethoven used on the title page is Veränderungen rather than the conventional Variationen, suggesting a process of metamorphosis. “Beethoven eats Diabelli’s waltz and digests it before our ears,” as Buchbinder puts it.

 

Bridging the Gap of Time

The Diabelli Project originated as part of Buchbinder’s contribution to the Beethoven anniversary year in 2020. Marking his 100th performance of the “Diabelli” Variations in public, he not only made his second recording of the cycle (the first appeared in 1973) but included his favorites from the other composers Diabelli commissioned. A centerpiece of the undertaking for Buchbinder was “to bridge the gap of time” by asking contemporary composers to contribute their variations on Diabelli’s waltz. Because “we no longer think regionally or nationally like Diabelli but know that Beethoven has long since arrived in our global world,” he points out, it was also important to commission a broad swath of international composers, who, in tonight’s concert as on the recording, are presented in alphabetical order.

These 11 new variations also range widely in approach and even dimension. Lera Auerbach’s Diabellical Waltz, longer than any of Beethoven’s own individual variations, emerges from brooding, even infernal regions, while Brett Dean’s Variation for Rudi seizes the attention with its tempestuous virtuosity. Toshio Hosokawa’s Verlust (“Loss”) offers an especially memorable meditation on the process of sound’s decay that discovers unimagined beauties within the banality of the original material. Christian Jost’s Rock It, Rudi! hammers away, in a contemporary context, at the popular-music connotations of Diabelli’s material.

Both Brad Lubman and Philippe Manoury continue the thread of musical-historical commentary Beethoven embedded in his variations. Max Richter’s contribution, the composer explains, “focuses on minor ninths and sevenths—very dissonant intervals—but opens up a very spacious landscape.” Rodion Shchedrin mines the element of comedy and parody Beethoven located alongside his excursions into profundity. Asking for “smooth and stubborn” playing, Johannes Maria Staud’s rhythmically preoccupied variation “challenged me with his highly creative notation,” says Buchbinder.

Tan Dun in Blue Orchid atomizes the components of the waltz theme into meditative moments, as if on a labyrinth walk, and combines echoes of an Eastern sensibility with the avant-garde. Concluding the set with the most overt reference to the original Diabelli waltz, Jörg Widmann brings us full circle with his playful multipart contribution. His funhouse distortions and free-association detours suggest variations on Beethoven’s variations as well as the miraculous inexhaustibility of the material that must have so appealed to Widmann’s esteemed predecessor.

For Buchbinder, what is at stake with the “Diabelli” Variations is ultimately more than musical: “Beethoven does not conduct this process for the sake of the process, but rather uses the stages of the individual variations to present a panopticon of fundamental human questions and, on the basis of the variations, to explore the diversity of human nature.”

 

Variations on the “Fate” Motif

“A story of voids, abysses, dashed hopes” is how biographer Jan Swafford characterizes the Sonata in F minor Op. 57, one of the most frequently performed of Beethoven’s 32 sonatas. Composed in 1804–5, it belongs to a series of works in which we encounter the rhythmic pattern of three short notes followed by a long one that, in the Fifth Symphony, became associated with the idea of the “fate motif.” It is also found in the Piano Concerto No. 4 and the Op. 74 “Harp” String Quartet. An autograph copy of the score carries the nickname “La Passionata,” but it was only posthumously that the moniker “Appassionata” was applied to this music.

Beethoven chose the key of F minor for his first officially published piano sonata in 1795. In the years since, the failure to stem his hearing loss as well as the inability to find a romantic partner had increased the composer’s feelings of alienation. Relying on long walks in the woods around Vienna to get his ideas flowing, Beethoven imagined in the “Appassionata” a turbulent soundscape that evokes an implacable sense of tragedy and entrapment by fate.

The main theme of the opening Allegro assai is first heard in plain unison, its conspiratorial quietness spanning two octaves. The recurring motto rhythm emerges in the bass. Beethoven condenses and intensifies the musical structure by presenting a second theme that is another version of the first—the variation principle always at work with this composer. For the first time in his sonatas, he omits the exposition repeat. Dynamic contrasts shape the musical argument until the movement subsides with a barely audible whisper. The passion Beethoven summons has been exhausted for the moment but is far from being resolved.

The second movement, set in D-flat major, presents another example of the imagination Beethoven brings to the art of variation as the chorale-like theme is sent on four unique journeys. In the enigmatic final measures, the composer shifts directly into the perpetual-motion finale, a storm-driven Allegro ma non troppo. There is no passage from darkness to light in this Sonata—as will be at the heart of the Fifth Symphony—but an insistence on the eternal return of the tragic. In its dance-of-death coda, the “Appassionata” speeds up to the final precipice.

 

Schubertian Spaciousness

Naturally, Diabelli circulated his invitation to write variations on his tune to the leading virtuosos of the day. But he also sought out contributions from Franz Schubert and his circle of musical collaborators (among them his close friend Anselm Hüttenbrenner). Strikingly, Schubert sets his exquisitely touching variation in C minor, adumbrating the intimate corners he would go on to explore in the three final sonatas composed just months before his death in 1828. The Sonata in B-flat major is the last of this de facto sonata trilogy, which had to wait 11 years, until 1839, to be published and far longer to be appreciated as one of the great legacies of the repertoire.

Because of their biographical position at the end of the composer’s tragically foreshortened life, these sonatas evoke associations of leave-taking, yet the reality is that Schubert here shows a renewed sense of ambition as a composer. It was in the music of Beethoven—at whose funeral in 1827 he served as a pallbearer—that Schubert found a model for the epic expanse of his “Great” C-major Symphony and several chamber music works of these last years.

Schubert appears to have conceived all three final sonatas—the ones in C minor D 958 and A major D 959 as well as the D 960 Sonata—as part of a larger, interconnected project. He titled them “Sonate I, II, and III” in his manuscript. Each of these works exhibits an expansive architecture in four movements. Their first movements in particular share a spaciousness that veers distinctively from the dialectic processes of the sonata model inherited from Beethoven to explore a uniquely Schubertian sound world—a far cry from the songlike miniatures many still associated with the composer.

The Molto moderato of the B flat–major Sonata in is in fact the longest movement in the entire trilogy. Schubert invites us, as his compatriot Anton Bruckner would do more than half a century later, to step outside of the mundane experience of clock-measured time. The hymn-like strain of the opening theme flows with a relaxed but solemn attitude that recalls the corresponding part of Beethoven’s “Archduke” Trio (in the same key of B-flat major). But Schubert introduces an unsettling trill in the lower depths, followed by an even more unsettling pause. The questions this raises reverberate throughout the sprawling expanse of the movement, which is filled with contrasts of far and near, birds-eye view and close range.

Set in remote C-sharp minor, the Andante sostenuto expands on the contemplative and even valedictory character of the first movement. The Scherzo, notably light and delicate, offers a gentle return from the more transcendent moments in the preceding movement. However, it takes an unexpected turn in the trio section, shifting to B-flat minor.

Schubert begins the final movement with a subtle change, switching from C minor to the home key of B-flat major within a few bars, invoking a sense of mystery comparable to that of the bass trill in the opening moments. The finale’s harmonically ambiguous transitions resemble a dialogue between death and life itself.


Thomas May is a writer, critic, educator, and translator whose work appears in The New York Times, Gramophone, and many other publications. The English-language editor for the Lucerne Festival, he also writes program notes for the Ojai Festival in California.

Music about Music
Rudolf Buchbinder’s Diabelli Project

Thomas May


“We present here to the world variations of no ordinary type, but a great and important masterpiece worthy to be ranked with the imperishable creations of the old Classics,” wrote the music publisher and composer Anton Diabelli in 1823 in the preface to 33 Variations on a Waltz by Anton Diabelli, the work through which his name would be immortalized.

Diabelli had penned a simple C-major tune in triple time, most of which more closely resembles an accompaniment, and shared it with a wide range of composers throughout the Austrian empire, soliciting each to contribute a single variation on this waltz (or ländler, as some have described it). But the proposal set Ludwig van Beethoven’s imagination on fire. It served as the impetus for what is, alongside the “Hammerklavier” Sonata, the longest and most far-reaching composition he ever wrote for solo piano.

Diabelli published Beethoven’s contribution, a gargantuan set of 33 variations, as the first part of the original project; an anthology of the variations submitted by 50 other composers constituted the second part, which appeared in 1824 as a patriotic effort to raise money for orphans and widows in the aftermath of the Napoleonic Wars (as well as to steer attention to the publishing firm in which Diabelli had recently been named a partner).

“For me, the ‘Diabelli’ Variations are perhaps Beethoven’s most exciting work,” says Rudolf Buchbinder, adding: “They are music about music.” By this, the pianist refers to Beethoven’s intertextual allusions to a spectrum ranging from Bach’s “Goldberg” Variations through Haydn and Mozart to his own final Piano Sonata Op. 111. But he also draws attention to the composer’s unflagging ability to transform musical components into something unexpected: the term Beethoven used on the title page is Veränderungen rather than the conventional Variationen, suggesting a process of metamorphosis. “Beethoven eats Diabelli’s waltz and digests it before our ears,” as Buchbinder puts it.

 

Bridging the Gap of Time

The Diabelli Project originated as part of Buchbinder’s contribution to the Beethoven anniversary year in 2020. Marking his 100th performance of the “Diabelli” Variations in public, he not only made his second recording of the cycle (the first appeared in 1973) but included his favorites from the other composers Diabelli commissioned. A centerpiece of the undertaking for Buchbinder was “to bridge the gap of time” by asking contemporary composers to contribute their variations on Diabelli’s waltz. Because “we no longer think regionally or nationally like Diabelli but know that Beethoven has long since arrived in our global world,” he points out, it was also important to commission a broad swath of international composers, who, in tonight’s concert as on the recording, are presented in alphabetical order.

These 11 new variations also range widely in approach and even dimension. Lera Auerbach’s Diabellical Waltz, longer than any of Beethoven’s own individual variations, emerges from brooding, even infernal regions, while Brett Dean’s Variation for Rudi seizes the attention with its tempestuous virtuosity. Toshio Hosokawa’s Verlust (“Loss”) offers an especially memorable meditation on the process of sound’s decay that discovers unimagined beauties within the banality of the original material. Christian Jost’s Rock It, Rudi! hammers away, in a contemporary context, at the popular-music connotations of Diabelli’s material.

Both Brad Lubman and Philippe Manoury continue the thread of musical-historical commentary Beethoven embedded in his variations. Max Richter’s contribution, the composer explains, “focuses on minor ninths and sevenths—very dissonant intervals—but opens up a very spacious landscape.” Rodion Shchedrin mines the element of comedy and parody Beethoven located alongside his excursions into profundity. Asking for “smooth and stubborn” playing, Johannes Maria Staud’s rhythmically preoccupied variation “challenged me with his highly creative notation,” says Buchbinder.

Tan Dun in Blue Orchid atomizes the components of the waltz theme into meditative moments, as if on a labyrinth walk, and combines echoes of an Eastern sensibility with the avant-garde. Concluding the set with the most overt reference to the original Diabelli waltz, Jörg Widmann brings us full circle with his playful multipart contribution. His funhouse distortions and free-association detours suggest variations on Beethoven’s variations as well as the miraculous inexhaustibility of the material that must have so appealed to Widmann’s esteemed predecessor.

For Buchbinder, what is at stake with the “Diabelli” Variations is ultimately more than musical: “Beethoven does not conduct this process for the sake of the process, but rather uses the stages of the individual variations to present a panopticon of fundamental human questions and, on the basis of the variations, to explore the diversity of human nature.”

 

Variations on the “Fate” Motif

“A story of voids, abysses, dashed hopes” is how biographer Jan Swafford characterizes the Sonata in F minor Op. 57, one of the most frequently performed of Beethoven’s 32 sonatas. Composed in 1804–5, it belongs to a series of works in which we encounter the rhythmic pattern of three short notes followed by a long one that, in the Fifth Symphony, became associated with the idea of the “fate motif.” It is also found in the Piano Concerto No. 4 and the Op. 74 “Harp” String Quartet. An autograph copy of the score carries the nickname “La Passionata,” but it was only posthumously that the moniker “Appassionata” was applied to this music.

Beethoven chose the key of F minor for his first officially published piano sonata in 1795. In the years since, the failure to stem his hearing loss as well as the inability to find a romantic partner had increased the composer’s feelings of alienation. Relying on long walks in the woods around Vienna to get his ideas flowing, Beethoven imagined in the “Appassionata” a turbulent soundscape that evokes an implacable sense of tragedy and entrapment by fate.

The main theme of the opening Allegro assai is first heard in plain unison, its conspiratorial quietness spanning two octaves. The recurring motto rhythm emerges in the bass. Beethoven condenses and intensifies the musical structure by presenting a second theme that is another version of the first—the variation principle always at work with this composer. For the first time in his sonatas, he omits the exposition repeat. Dynamic contrasts shape the musical argument until the movement subsides with a barely audible whisper. The passion Beethoven summons has been exhausted for the moment but is far from being resolved.

The second movement, set in D-flat major, presents another example of the imagination Beethoven brings to the art of variation as the chorale-like theme is sent on four unique journeys. In the enigmatic final measures, the composer shifts directly into the perpetual-motion finale, a storm-driven Allegro ma non troppo. There is no passage from darkness to light in this Sonata—as will be at the heart of the Fifth Symphony—but an insistence on the eternal return of the tragic. In its dance-of-death coda, the “Appassionata” speeds up to the final precipice.

 

Schubertian Spaciousness

Naturally, Diabelli circulated his invitation to write variations on his tune to the leading virtuosos of the day. But he also sought out contributions from Franz Schubert and his circle of musical collaborators (among them his close friend Anselm Hüttenbrenner). Strikingly, Schubert sets his exquisitely touching variation in C minor, adumbrating the intimate corners he would go on to explore in the three final sonatas composed just months before his death in 1828. The Sonata in B-flat major is the last of this de facto sonata trilogy, which had to wait 11 years, until 1839, to be published and far longer to be appreciated as one of the great legacies of the repertoire.

Because of their biographical position at the end of the composer’s tragically foreshortened life, these sonatas evoke associations of leave-taking, yet the reality is that Schubert here shows a renewed sense of ambition as a composer. It was in the music of Beethoven—at whose funeral in 1827 he served as a pallbearer—that Schubert found a model for the epic expanse of his “Great” C-major Symphony and several chamber music works of these last years.

Schubert appears to have conceived all three final sonatas—the ones in C minor D 958 and A major D 959 as well as the D 960 Sonata—as part of a larger, interconnected project. He titled them “Sonate I, II, and III” in his manuscript. Each of these works exhibits an expansive architecture in four movements. Their first movements in particular share a spaciousness that veers distinctively from the dialectic processes of the sonata model inherited from Beethoven to explore a uniquely Schubertian sound world—a far cry from the songlike miniatures many still associated with the composer.

The Molto moderato of the B flat–major Sonata in is in fact the longest movement in the entire trilogy. Schubert invites us, as his compatriot Anton Bruckner would do more than half a century later, to step outside of the mundane experience of clock-measured time. The hymn-like strain of the opening theme flows with a relaxed but solemn attitude that recalls the corresponding part of Beethoven’s “Archduke” Trio (in the same key of B-flat major). But Schubert introduces an unsettling trill in the lower depths, followed by an even more unsettling pause. The questions this raises reverberate throughout the sprawling expanse of the movement, which is filled with contrasts of far and near, birds-eye view and close range.

Set in remote C-sharp minor, the Andante sostenuto expands on the contemplative and even valedictory character of the first movement. The Scherzo, notably light and delicate, offers a gentle return from the more transcendent moments in the preceding movement. However, it takes an unexpected turn in the trio section, shifting to B-flat minor.

Schubert begins the final movement with a subtle change, switching from C minor to the home key of B-flat major within a few bars, invoking a sense of mystery comparable to that of the bass trill in the opening moments. The finale’s harmonically ambiguous transitions resemble a dialogue between death and life itself.


Thomas May is a writer, critic, educator, and translator whose work appears in The New York Times, Gramophone, and many other publications. The English-language editor for the Lucerne Festival, he also writes program notes for the Ojai Festival in California.

Der Künstler

Rudolf Buchbinder
Klavier

Rudolf Buchbinder zählt zu den legendären Interpreten unserer Zeit. Die Autorität einer mehr als 60 Jahre währenden Karriere verbindet sich in seinem Klavierspiel auf einzigartige Weise mit Esprit und Spontaneität. Tradition und Innovation, Werktreue und Freiheit, Authentizität und Weltoffenheit verschmelzen in seiner Lesart der großen Klavierliteratur. Er ist Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker, der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, der Wiener Konzerthausgesellschaft, der Wiener Symphoniker sowie des Israel Philharmonic Orchestra und der erste Solist, dem die Sächsische Staatskapelle Dresden die Goldene Ehrennadel verlieh.

Als maßstabsetzend gilt Buchbinder insbesondere als Interpret der Werke Ludwig van Beethovens. Auf der ganzen Welt begeistert er die Menschen mit zyklischen Aufführungen der 32 Klaviersonaten, so im Frühjahr 2023 an sieben Abenden innerhalb von zehn Tagen im National Centre for the Performing Arts in Peking – als erster Pianist in der Geschichte dieses Konzertsaals – sowie im Seoul Arts Center vor ausverkauftem Haus. Im Frühjahr 2024 folgt Buchbinders erster Beethoven-Sonaten-Zyklus in Japan im Rahmen des renommierten Tokyo Spring Festivals. Über 60 Mal führte er die 32 Klaviersonaten bisher zyklisch auf und entwickelte die Interpretationsgeschichte dieser Werke über Jahrzehnte weiter. Mit der Edition BUCHBINDER:BEETHOVEN veröffentlichte die Deutsche Grammophon eine Gesamtaufnahme der 32 Klaviersonaten sowie der fünf Klavierkonzerte und setzte damit zwei herausragenden Buchbinder-Beethoven-Zyklen der jüngsten Zeit ein klingendes Denkmal. Als erster Pianist spielte Buchbinder bei den Salzburger Festspielen 2014 sämtliche Beethoven-Klaviersonaten innerhalb eines Festspiel-Sommers.

Der aufsehenerregende Zyklus der fünf Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens entstand in der Konzertsaison 2019/20 im Wiener Musikverein, der anlässlich seines 150-jährigen Jubiläums mit Rudolf Buchbinder erstmalig einem einzelnen Pianisten die Ehre gab, alle fünf Klavierkonzerte Beethovens in einer eigens aufgelegten Serie aufzuführen. Buchbinders Partner waren das Gewandhausorchester Leipzig unter Andris Nelsons, die Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die Münchner Philharmoniker und die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Mariss Jansons, Valery Gergiev und Christian Thielemann. Alle Konzerte wurden live aufgenommen. Der im September 2021 auf drei CDs veröffentlichte Musikvereins-Zyklus ist ein historisches Dokument dieser künstlerischen Gipfeltreffen.

Als Beitrag zu Beethovens 250. Geburtstag initiierte Buchbinder einen Zyklus von Neuen Diabelli-Variationen, der an die Entstehungsgeschichte von Beethovens epochalen „Diabelli-Variationen“ anknüpft. In Zusammenarbeit mit führenden Konzerthäusern in aller Welt sowie der Ernst von Siemens Musikstiftung wurden die Neuen Diabelli-Variationen bei elf führenden Komponisten unserer Zeit in Auftrag gegeben, darunter Lera Auerbach, Brett Dean, Toshio Hosokawa, Tan Dun und Jörg Widmann. Unter dem Titel The Diabelli Project erschien die Weltersteinspielung bei Deutsche Grammophon und markierte den Auftakt von Buchbinders exklusiven Partnerschaft mit dem Label.

Sein neuestes Album Soirée de Vienne empfindet eine Wiener Abendgesellschaft nach und vereint Komponisten, die auf das Engste mit Wien verbunden sind – wie er selbst. „Die Freiheit im Moment, der Luxus intelligenter Naivität und die Neugier am Augenblick – all das macht Musik erst lebendig“, so Rudolf Buchbinder. Das Album ist ein in Klang gegossenes Lebensgefühl und transportiert den Geist einer guten Gesellschaft – inspirierend, unterhaltsam, aber stets tiefgreifend.

Größten Wert legt Rudolf Buchbinder auf Quellenforschung. Seine private Notensammlung umfasst 39 komplette Ausgaben der Klaviersonaten Ludwig van Beethovens sowie ein umfangreiches Archiv von Erstdrucken, Originalausgaben und Kopien der eigenhändigen Klavierstimmen beider Klavierkonzerte von Johannes Brahms.

Als künstlerischer Leiter verantwortet er das Grafenegg Festival, das seit seiner Gründung im Jahr 2007 zu den einflussreichsten Orchesterfestivals in Europa gehört. Rudolf Buchbinder hat eine Autobiographie mit dem Titel Da Capo veröffentlicht sowie das Buch Mein Beethoven – Leben mit dem Meister. Sein neuestes Buch Der letzte Walzer erschien zur Uraufführung der Neuen Diabelli-Variationen im März 2020 und erzählt 33 Geschichten über Beethoven, Diabelli und das Klavierspielen.

buchbinder.net

November 2023

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