Musikalische Leitung
Violine
Seit einem Vierteljahrhundert beweist das West-Eastern Divan Orchestra, dass im gemeinsamen Musizieren und Zusammenleben ein Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen des Nahen Ostens möglich ist. Sein 25-jähriges Jubiläum fällt in eine Zeit, in der diese Botschaft vielleicht mehr Gehör verdient als je zuvor. Mit einem Konzert unter der Leitung von Daniel Barenboim in der Berliner Philharmonie feiern die jungen Musiker:innen den Geburtstag ihres Orchesters und bekräftigen zugleich ihr leidenschaftliches Engagement für seine Mission.
Neben Bruckners „Romantischer“ Symphonie Nr. 4 steht das Violinkonzert von Felix Mendelssohn auf dem Programm – den Solopart übernimmt der junge Geiger Yamen Saadi, Absolvent der Barenboim-Said Akademie, ehemals Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra und seit zwei Jahren in gleicher Position im Orchester der Wiener Staatsoper engagiert.
Veranstaltungsort: Philharmonie Berlin, Herbert-von-Karajan-Straße 1, 10785 Berlin
Du spielst seit über 15 Jahren mit dem West-Eastern Divan Orchestra. Nimm uns mit zum Anfang dieser Geschichte.
Alles begann damit, dass ich anfing Geige zu spielen. Mein Bruder spielte Gitarre. Eines Tages sah ich eine Geige im Fernsehen; jemand sagte, das sei ein sehr schwieriges Instrument, vielleicht das schwierigste überhaupt. Ich dachte mir: Das ist doch eine schöne Herausforderung! Seitdem wollte ich unbedingt Geige lernen. In Nazareth, wo wir wohnten, hatte gerade das Barenboim-Said Conservatory eröffnet, also nahm ich dort Unterricht. Als Daniel Barenboim die Schule besuchte, spielte ich ihm das erste Mal vor. 2007 habe ich dann bei den Salzburger Festspielen zum ersten Mal das West-Eastern Divan Orchestra gehört – ich glaube, es war überhaupt das erste Orchester, das ich live erlebt habe. Ich weiß noch, wie ich bei den Proben zuhörte und dachte: In diesem Orchester muss ich spielen! Einige Zeit später dirigierte Daniel Barenboim in Jerusalem das „Concert for Two Peoples“, wie es hieß. Ich spielte in dem Ensemble junger israelischer und palästinensischer Musiker:innen, das dort auftrat. Danach fragte ich Maestro Barenboim, ob ich im Divan mitspielen könnte. Seine Antwort war ganz einfach: „Du bist zu jung.“ Ich war damals zehn und sagte ihm, ich könnte so tun, als wäre ich 21, falls das hilft. Irgendwie hat es geholfen, denn ein Jahr später, mit 11 Jahren, war ich Mitglied des Orchesters.
Wie hat sich Deine Beziehung zu Daniel Barenboim im Laufe der Jahre entwickelt?
Ich habe so viel von ihm gelernt – nicht nur musikalisch, sondern auch auf menschlicher und persönlicher Ebene. Und mit viel meine ich im Grunde alles. Er ist die Person, zu der ich immer aufgeschaut habe, und das tue ich bis heute. Als ich ihn zum ersten Mal arbeiten sah, war das ein Schock für mich. Für ihn war jedes noch so kleine Detail wichtig. Ich habe sofort versucht, diese Einstellung für mich zu übernehmen. Ich war noch so jung und wollte einfach so viel wie möglich von ihm lernen, wie ein Schwamm alles aufsaugen, was ich konnte. Und natürlich hat sein humanistisches Engagement mein Leben immens beeinflusst. Ich glaube, ohne ihn wäre ich kein Geiger geworden, denn ohne das Barenboim-Said Conservatory hätte ich gar nicht die Möglichkeit dazu gehabt. Später hatte ich das Glück, an der Barenboim-Said Akademie in Berlin zu studieren und ihm oft vorzuspielen, was ich bis heute tue, wann immer ich die Gelegenheit dazu habe. Natürlich hat sich unsere Beziehung im Laufe der Jahre weiterentwickelt, aber er ist für mich nach wie vor ein Mentor. Wenn ich ein neues Stück lerne, frage ich mich manchmal, was er über dieses oder jenes Detail denken würde. Das gibt mir nicht unbedingt die Lösung, aber immer eine Richtung. Der größte Unterschied ist vielleicht, dass ich früher in seiner Gegenwart nicht rauchen konnte … (lacht)
Gibt es bestimmte Momente oder Konzerte, die Dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
Das ist sehr schwer zu beantworten, es ist fast unmöglich, etwas herauszugreifen. Natürlich werde ich nie meine erste Tournee vergessen, bei der wir in all diesen berühmten Konzertsälen aufgetreten sind. Es ist einfach unvergesslich und eine unglaubliche Erfahrung, als 11-Jähriger bei den BBC Proms zu spielen. Das Gleiche gilt für den Beethoven-Zyklus, den wir über drei Jahre hinweg gemacht haben. Wir haben alle Symphonien intensiv erarbeitet, aufgeführt und aufgenommen, sodass ich diese Stücke sehr gut kennengelernt habe, und ich war damals immer noch sehr jung, vielleicht 14. Dann die Konzerte in der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea, bei den Vereinten Nationen, das erste Mal in der Carnegie Hall, im Musikverein in Wien… Die Liste ist endlos. Aber es gibt eines, das für mich etwas ganz Besonderes war. Es war in Buenos Aires, ich weiß nicht einmal mehr das Jahr oder was wir gespielt haben. Eines Abends bekam ich einen Anruf und erfuhr, dass ich am nächsten Tag zum ersten Mal als Konzertmeister spielen würde. Das werde ich nie vergessen. Es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn man auf diesem Stuhl sitzt! Ich dachte: Was mache ich hier? Was soll ich hier machen? Man lernt es erst, wenn man es macht. Rückblickend war das ein Schlüsselmoment für mich.
Wie hat Dich die Erfahrung mit dem Divan auf die Position als Konzertmeister des Orchesters der Wiener Staatsoper vorbereitet, wo Du seit zwei Jahren spielst?
Meine Zeit im Divan war absolut entscheidend. Ich möchte sie eigentlich nicht als Vorbereitung für irgendetwas anderes sehen. Es war eine Erfahrung für sich. Aber ich habe dort alles gelernt: wie man in einem Orchester spielt, wie man im Orchester zuhört, wie man führt, wie ein Orchester in jeder Bedeutung des Wortes funktioniert und funktionieren sollte. Das Zusammenspiel als ein Klangkörper ist wirklich entscheidend. Und natürlich lernt man bei Auftritten mit Maestro Barenboim und bei der Zusammenarbeit mit ihm während der sehr intensiven Probenphasen, ein Musikstück bis ins kleinste Detail zu verstehen, die Partitur zu begreifen, nicht nur die Noten selbst, sondern auch das, was dahintersteckt, und wie man sie sich zu eigen macht. Diese Erfahrungen waren für mich unbezahlbar.
Was geht Dir durch den Kopf, kurz bevor Du jetzt zum 25-jährigen Jubiläum des Orchesters als Solist auftrittst?
Damit wird ein Traum von mir war, und noch mehr als das. Als ich ins Orchester aufgenommen wurde, hoffte ich immer, eines Tages ganz vorne zu sitzen, und glücklicherweise durfte ich das später. Und immer, wenn Solist:innen mit uns spielten, dachte ich: Was für eine Ehre wäre es, einmal in dieser Position zu sein. Man weiß nie, wohin das Leben einen führt – einfach, aber wahr. Dieses Konzert zu spielen bedeutet mir so viel, nicht nur für meine Karriere, sondern auch persönlich. Es ist, als würde ich mit meiner Familie auftreten, denn der Divan, das Orchester, in dem ich aufgewachsen bin, ist meine Familie, und Daniel Barenboim ist es auch. Hier geht es nicht nur um die großartige Musik, die wir spielen. Es fühlt sich an wie ein wunderbarer Kreis, der sich schließt – sicher das wichtigste Konzert meines Lebens.
Die Fragen stellte Tyme Khleifi.
Tyme Khleifi ist seit 2004 Mitglied des West-Eastern Divan Orchestra und arbeitet seit 2015 als Referentin von Daniel Barenboim und Managerin des Boulez Ensembles an der Barenboim-Said Akademie und im Pierre Boulez Saal.
In den vergangenen 25 Jahren sind das West-Eastern Divan Orchestra und Daniel Barenboim immer wieder in der Philharmonie Berlin aufgetreten. Sehen und hören Sie hier einen Ausschnitt aus Bruckners Neunter Symphony, aufgeführt im Konzert zum 20-jährigen Jubiläum des Orchesters im Oktober 2019.
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