Konstantin Krimmel Bariton
Wolfram Rieger Klavier
Brigitte Fassbaender Rezitation

Programm

Ludwig Tieck
Lesungen aus 
Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence

Johannes Brahms
Die schöne Magelone
15 Romanzen nach Gedichten von Ludwig Tieck op. 33

Ludwig Tieck (1773–1853)
Lesungen aus 
Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence (1797)


Johannes Brahms (1833–1897)
Die schöne Magelone
15 Romanzen nach Gedichten von Ludwig Tieck op. 33 (1861–69)

I. Keinen hat es noch gereut
II. Traun! Bogen und Pfeil
III. Sind es Schmerzen
IV. Liebe kam aus fernen Landen
V. So willst du des Armen
VI. Wie soll ich die Freude
VII. War es dir, dem diese Lippen bebten
VIII. Wir müssen uns trennen
IX. Ruhe, Süßliebchen
X. Verzweiflung
XI. Wie schnell verschwindet
XII. Muss es eine Trennung geben
XIII. Sulima
XIV. Wie froh und frisch
XV. Treue Liebe dauert lange


Keine Pause

Ludwig Tieck (1773–1853)
Lesungen aus 
Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence (1797)


Johannes Brahms (1833–1897)
Die schöne Magelone
15 Romanzen nach Gedichten von Ludwig Tieck op. 33 (1861–69)

I. Keinen hat es noch gereut
II. Traun! Bogen und Pfeil
III. Sind es Schmerzen
IV. Liebe kam aus fernen Landen
V. So willst du des Armen
VI. Wie soll ich die Freude
VII. War es dir, dem diese Lippen bebten
VIII. Wir müssen uns trennen
IX. Ruhe, Süßliebchen
X. Verzweiflung
XI. Wie schnell verschwindet
XII. Muss es eine Trennung geben
XIII. Sulima
XIV. Wie froh und frisch
XV. Treue Liebe dauert lange


Keine Pause

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Illustration aus der Großen Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), um 1300–40  (Universitätsbibliothek Heidelberg)

Ritterliche Romanzen

Der junge Johannes Brahms war ein unermüdlicher Leser. „Ich lege all mein Geld in Büchern an“, soll er als 20-Jähriger geäußert haben. In seiner Bibliothek fanden sich auch Werke von Ludwig Tieck, der ihn 1859 zum Komposition der Schönen Magelone inspirierte.

Essay von Ivana Rajič

Ritterliche Romanzen
Die schöne Magelone von Ludwig Tieck und Johannes Brahms

Ivana Rajič


Der junge Johannes Brahms war ein unermüdlicher Leser. „Ich lege all mein Geld in Büchern an“, soll er als 20-Jähriger geäußert haben. „Bücher sind meine höchste Lust, ich habe von Kindesbeinen an so viel gelesen, wie ich nur konnte, und bin ohne alle Anleitung aus dem Schlechtesten zum Besten durchgedrungen.“ Mit den Werken seiner Lieblingsautoren wie Jean Paul, Joseph von Eichendorff, Friedrich Schiller und E.T.A. Hoffmann baute er sich eine Bibliothek auf, die er ständig erweiterte und die schließlich knapp 900 Bände umfassen sollte. Bis heute wird sie im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufbewahrt – der Nachlass eines begeisterten Bücherwurms. „Er kannte und las so ziemlich alles, was es gab“, beteuerte der Komponist, Dirigent und Brahms-Schüler Gustav Jenner.

Gefielen Brahms eine Passage eines Romans oder die Verse eines Dichters besonders gut, schrieb er sie sogar eigenhändig ab. „Des jungen Kreislers Schatzkästlein“, wie er seine in mehreren Heften angelegte Blütenlese nannte – in Anlehnung an Hoffmanns literarische Gestalt des Kapellmeisters Johannes Kreisler aus dessen Kreisleriana –, enthält zahlreiche Zeilen, die Brahms zur Vertonung vorgesehen hatte. Dort finden sich auch folgende: „Die Musik floss wie ein murmelnder Bach durch den stillen Garten, und er sah die Anmut der Prinzessin auf den silbernen Wellen der Harmonie hoch einherschwimmen, wie die Wogen der Musik den Saum ihres Gewandes küssten und wetteiferten, ihr nachzufolgen; gleich einer Morgenröte schien sie in die dämmernde Nacht hinein, und die Sterne standen in ihrem Laufe still, die Bäume hielten sich ruhig und die Winde schwiegen.“


Eine alte Geschichte

Der Satz stammt aus Ludwig Tiecks Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence, die Brahms schon als Jugendlicher gelesen hatte – eigentlich eine mittelalterliche Erzählung aus dem 15. Jahrhundert, die der deutsche Schriftsteller und Dichter zu einem frühromantischen „Volksmärchen“ umarbeitete und 1797 in einer Sammlung veröffentlichte. Die von Brahms notierten Worte beschreiben den Moment, als Peter, Sohn des Grafen der Provence, die schöne neapolitanische Königstochter Magelone erblickt. Die weitere Geschichte ist schnell erzählt: Mit meisterhaften Turniersiegen und seinem ergreifenden Gesang gewinnt der Märchenheld Magelones Herz, doch die Prinzessin ist bereits einem anderen Ritter versprochen. Auf der abenteuerlichen Flucht aus der Stadt wird das Paar vom Schicksal getrennt: Peter kommt auf See beinahe um, gerät an den Hof des türkischen Sultans und – oh je – droht sein Herz an dessen Tochter Sulima zu verlieren. Erst nach Jahren finden der Grafensohn und die neapolitanische Prinzessin zueinander. Sie heiraten schließlich und singen in Erinnerung an ihr Abenteuer an der Stelle, an der sie sich wiederfanden, jedes Jahr dasselbe Lied.

Tiecks Erzählung geht auf die deutschsprachige Fassung der Schönen Magelone zurück, die von Magister Veit Warbeck aus französischen Handschriften des 15. Jahrhunderts übersetzt wurde und 1535 in Augsburg im Druck erschien. (Einzelne Motive finden sich jedoch bereits in der noch einige hundert Jahre älteren Sammlung aus Tausendundeiner Nacht.) Dabei aktualisierte Tieck die Geschichte nicht nur hinsichtlich der Gepflogenheiten und sprachlich-stilistischen Konventionen seiner Zeit, sondern schloss jedes Kapitel mit einem introspektiven Gedicht ab, das von den Gedanken und Gefühlen des Helden in der jeweiligen Situation kündet und schon im Zusammenhang der Erzählung die Funktion eines Liedes hat – weshalb diese Verse sicherlich einen starken Reiz auf Tiecks komponierende Zeitgenoss:innen ausübten: Johann Friedrich Reichardt etwa vertonte das zehnte der 18 Gedichte, Ruhe, Süßliebchen, Carl Maria von Weber das dritte, Sind es Schmerzen, sind es Freuden, und Fanny Hensel das letzte, Treue Liebe dauert lange. 1828 bemerkte Tieck selbst: „Die Lieder in der Magelone haben ihre Freunde gefunden und einige treffliche Kompositionen veranlasst.“


Beflügelnde Künstlerfreundschaft

Brahms widmete sich den Liedern Tiecks 1861. Nachdem sein Erstes Klavierkonzert zwei Jahre zuvor bei Publikum und Presse entschieden durchgefallen war, wandte er sich verstärkt der Vokal- und Kammermusik zu. Jünger als der Schubert der Winterreise oder der Schumann der Dichterliebe, begann Brahms im Alter von 28 Jahren mit der Arbeit an seinem ersten und einzigen Liederzyklus. Die ersten vier Gedichte vertonte er auf Anregung des berühmten Sängers Julius Stockhausen, dem das Werk auch gewidmet ist; vier weitere folgten etwa ein Jahr später. Es sollte aber noch mehrere Jahre dauern, bis Brahms den Zyklus mit den restlichen sieben Vertonungen komplettierte.

Brahms und Stockhausen hatten sich 1856 beim Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf kennengelernt, und noch im gleichen Jahr waren sie für die erste zyklische Aufführung von Schuberts Die schöne Müllerin verantwortlich. Zusammen brachten sie einige Jahre später auch Schumanns Dichterliebe erstmalig in vollständiger Form zu Gehör, hoben 1868 in Bremen Brahms’ Deutsches Requiem aus der Taufe und unternahmen zwischendurch gemeinsame Konzerttourneen. Bei der Uraufführung der Schönen Magelone in Hamburg im Jahr 1869 mit Stockhausen und Brahms am Flügel war somit ein eingespieltes Gespann am Werk.


Oper im Kleinformat

Brahms vertonte 15 der insgesamt 18 Gedichte Tiecks als „Romanzen“, wie er sie nannte – lyrische Stimmungsbilder, die die Gefühlswelt der Protagonisten zum Ausdruck bringen, von denen in der Erzählung lediglich berichtet werden kann. Musikalisch in einfacher Lied-, variierter Strophenform oder vielteiliger arioser Struktur verarbeitet, reicht das Spektrum von Liebesbegehren bis zu bitterer Enttäuschung, von Leid über Hoffnung bis zur Verzweiflung, vom kraftvollen Wie froh und frisch (Nr. 14) bis zu wehmütigen Sehnsuchtsgesängen wie dem quasi Schubert’schen Wie schnell verschwindet (Nr. 11), das in seiner Stimmung nur noch durch das folgende Muss es eine Trennung geben gesteigert wird. „Es gibt einige sehr dramatische Lieder, aber es gibt genauso viele romantische und melancholische, weiche, schwingende Melodiebögen zu erfüllen“, erklärt Brigitte Fassbaender, die mit der Schönen Magelone einen der letzten Liederabende vor dem Ende ihrer aktiven Laufbahn als Sängerin bestritt und das Werk am heutigen Abend, zusammen mit Konstantin Krimmel und Wolfram Rieger, durch ergänzende Lesungen in Tiecks Geschichte einbettet.

Das Tempo- und Ausdrucksspektrum der 15 Romanzen mit differenzierten Klangschattierungen der Gesangspartie und technisch anspruchsvollem orchestralem Klavierpart lassen Die schöne Magelone zu einer Art Miniaturoper werden. Bezüglich eines potenziellen Librettos für sein nie geschriebenes Bühnenwerk fragte Brahms seinen Biographen Max Kalbeck rhetorisch: „Sind die Romanzen nicht auch eine Art von Theater?“

In der ersten, Keinen hat es noch gereut, einem einfachen Satz in Es-Dur, lässt Brahms Ross und Reiter mit Fanfaren und rhythmisiertem Pferdegetrappel vorwärtsschreiten und zeichnet ein musikalisches Bild vom kommenden Abenteuer des Grafensohns Peter. Die Nr. 3 Sind es Schmerzen, sind es Freuden, in der ein leidenschaftlicher Gefühlsausbruch auf sanfte Kantilenen folgt, singt Peter nach der ersten Begegnung mit Magelone. Der Entschluss zur gemeinsamen Flucht wird in Wir müssen uns trennen (Nr. 8 – die Worte sind hier an Peters Laute gerichtet) von einer wehmütig getönten Melodie begleitet, und nach dem unfreiwilligen Abschied von der Geliebten singt sich Peter in der zehnten Romanze Verzweiflung – das virtuoseste und dramatischste Stück des Zyklus – die Hoffnungslosigkeit seiner Lage von der Seele.

In Sulima (Nr. 13) möchte die verliebte Sultanstochter mit dem Helden davonlaufen – und führt uns durch harmonische Färbungen und leichtfüßige Rhythmen in östliche Klangwelten. Peter macht sich stattdessen auf die Suche nach Magelone und besingt schließlich gemeinsam mit ihr in der letzten Romanze Treue Liebe dauert lange ihre glückliche Wiedervereinigung. Zahlreiche Elemente des Zyklus begegnen hier noch einmal in Original- und variierter Gestalt, bevor Brahms den Beginn des Liedes als wirkungsvollen Abschluss zitiert.


Lied und Lesung

Den Gedanken, der auch dem heutigen Abend zugrunde liegt – nämlich die Erzählung Tiecks mit seinen Liedern zu verbinden – lehnte Brahms erst einmal grundlegend ab. Der Komponist, der kaum ein Gespräch führte, ohne es mit reichlich Ironie auszustatten, schrieb an seinen Verleger Simrock: „Den verbindenden Text bitte schön mit Goldschnitt binden zu lassen und im Schanzengarten jeden Sonntag vor der Predigt den werten Hausgenossen vorlesen zu lassen. Mit meinen Liedern aber hat er nichts zu tun, so wenig wie die ganze Rittergeschichte!“

Trotzdem entwarf er später eine Fassung mit verbindenden Texten – vielleicht war es Julius Stockhausen, der ihm dazu riet. Um das Missfallen des Komponisten wissend, schrieb er Brahms bezüglich einer Aufführung des Zyklus: „Ob Du mit den einleitenden Worten vor den Liedern einverstanden sein wirst, muss ich leider bezweifeln, aber es ging nicht gut anders zu machen bei einem Publikum, welches wenige dieser großartigen Lieder kennt und auch Tieck wenig liest. Ich glaube, die Kompositionen werden durch die Worte verständlicher, weil das Publikum heutzutage gar zu gerne Programme zur Musik liest. Das Werk machte einen tiefen Eindruck.“


Ivana Rajič studierte Musik- und Kommunikationswissenschaft in München, Berlin und Dublin. Sie ist als Redakteurin für die Elbphilharmonie und Laeiszhalle Hamburg tätig und schrieb für Konzert- und Opernhäuser, Radiosender und den Walter Felsenstein Förderverein, dessen Gründungsmitglied sie ist.

Ritterliche Romanzen
Die schöne Magelone von Ludwig Tieck und Johannes Brahms

Ivana Rajič


Der junge Johannes Brahms war ein unermüdlicher Leser. „Ich lege all mein Geld in Büchern an“, soll er als 20-Jähriger geäußert haben. „Bücher sind meine höchste Lust, ich habe von Kindesbeinen an so viel gelesen, wie ich nur konnte, und bin ohne alle Anleitung aus dem Schlechtesten zum Besten durchgedrungen.“ Mit den Werken seiner Lieblingsautoren wie Jean Paul, Joseph von Eichendorff, Friedrich Schiller und E.T.A. Hoffmann baute er sich eine Bibliothek auf, die er ständig erweiterte und die schließlich knapp 900 Bände umfassen sollte. Bis heute wird sie im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufbewahrt – der Nachlass eines begeisterten Bücherwurms. „Er kannte und las so ziemlich alles, was es gab“, beteuerte der Komponist, Dirigent und Brahms-Schüler Gustav Jenner.

Gefielen Brahms eine Passage eines Romans oder die Verse eines Dichters besonders gut, schrieb er sie sogar eigenhändig ab. „Des jungen Kreislers Schatzkästlein“, wie er seine in mehreren Heften angelegte Blütenlese nannte – in Anlehnung an Hoffmanns literarische Gestalt des Kapellmeisters Johannes Kreisler aus dessen Kreisleriana –, enthält zahlreiche Zeilen, die Brahms zur Vertonung vorgesehen hatte. Dort finden sich auch folgende: „Die Musik floss wie ein murmelnder Bach durch den stillen Garten, und er sah die Anmut der Prinzessin auf den silbernen Wellen der Harmonie hoch einherschwimmen, wie die Wogen der Musik den Saum ihres Gewandes küssten und wetteiferten, ihr nachzufolgen; gleich einer Morgenröte schien sie in die dämmernde Nacht hinein, und die Sterne standen in ihrem Laufe still, die Bäume hielten sich ruhig und die Winde schwiegen.“


Eine alte Geschichte

Der Satz stammt aus Ludwig Tiecks Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence, die Brahms schon als Jugendlicher gelesen hatte – eigentlich eine mittelalterliche Erzählung aus dem 15. Jahrhundert, die der deutsche Schriftsteller und Dichter zu einem frühromantischen „Volksmärchen“ umarbeitete und 1797 in einer Sammlung veröffentlichte. Die von Brahms notierten Worte beschreiben den Moment, als Peter, Sohn des Grafen der Provence, die schöne neapolitanische Königstochter Magelone erblickt. Die weitere Geschichte ist schnell erzählt: Mit meisterhaften Turniersiegen und seinem ergreifenden Gesang gewinnt der Märchenheld Magelones Herz, doch die Prinzessin ist bereits einem anderen Ritter versprochen. Auf der abenteuerlichen Flucht aus der Stadt wird das Paar vom Schicksal getrennt: Peter kommt auf See beinahe um, gerät an den Hof des türkischen Sultans und – oh je – droht sein Herz an dessen Tochter Sulima zu verlieren. Erst nach Jahren finden der Grafensohn und die neapolitanische Prinzessin zueinander. Sie heiraten schließlich und singen in Erinnerung an ihr Abenteuer an der Stelle, an der sie sich wiederfanden, jedes Jahr dasselbe Lied.

Tiecks Erzählung geht auf die deutschsprachige Fassung der Schönen Magelone zurück, die von Magister Veit Warbeck aus französischen Handschriften des 15. Jahrhunderts übersetzt wurde und 1535 in Augsburg im Druck erschien. (Einzelne Motive finden sich jedoch bereits in der noch einige hundert Jahre älteren Sammlung aus Tausendundeiner Nacht.) Dabei aktualisierte Tieck die Geschichte nicht nur hinsichtlich der Gepflogenheiten und sprachlich-stilistischen Konventionen seiner Zeit, sondern schloss jedes Kapitel mit einem introspektiven Gedicht ab, das von den Gedanken und Gefühlen des Helden in der jeweiligen Situation kündet und schon im Zusammenhang der Erzählung die Funktion eines Liedes hat – weshalb diese Verse sicherlich einen starken Reiz auf Tiecks komponierende Zeitgenoss:innen ausübten: Johann Friedrich Reichardt etwa vertonte das zehnte der 18 Gedichte, Ruhe, Süßliebchen, Carl Maria von Weber das dritte, Sind es Schmerzen, sind es Freuden, und Fanny Hensel das letzte, Treue Liebe dauert lange. 1828 bemerkte Tieck selbst: „Die Lieder in der Magelone haben ihre Freunde gefunden und einige treffliche Kompositionen veranlasst.“


Beflügelnde Künstlerfreundschaft

Brahms widmete sich den Liedern Tiecks 1861. Nachdem sein Erstes Klavierkonzert zwei Jahre zuvor bei Publikum und Presse entschieden durchgefallen war, wandte er sich verstärkt der Vokal- und Kammermusik zu. Jünger als der Schubert der Winterreise oder der Schumann der Dichterliebe, begann Brahms im Alter von 28 Jahren mit der Arbeit an seinem ersten und einzigen Liederzyklus. Die ersten vier Gedichte vertonte er auf Anregung des berühmten Sängers Julius Stockhausen, dem das Werk auch gewidmet ist; vier weitere folgten etwa ein Jahr später. Es sollte aber noch mehrere Jahre dauern, bis Brahms den Zyklus mit den restlichen sieben Vertonungen komplettierte.

Brahms und Stockhausen hatten sich 1856 beim Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf kennengelernt, und noch im gleichen Jahr waren sie für die erste zyklische Aufführung von Schuberts Die schöne Müllerin verantwortlich. Zusammen brachten sie einige Jahre später auch Schumanns Dichterliebe erstmalig in vollständiger Form zu Gehör, hoben 1868 in Bremen Brahms’ Deutsches Requiem aus der Taufe und unternahmen zwischendurch gemeinsame Konzerttourneen. Bei der Uraufführung der Schönen Magelone in Hamburg im Jahr 1869 mit Stockhausen und Brahms am Flügel war somit ein eingespieltes Gespann am Werk.


Oper im Kleinformat

Brahms vertonte 15 der insgesamt 18 Gedichte Tiecks als „Romanzen“, wie er sie nannte – lyrische Stimmungsbilder, die die Gefühlswelt der Protagonisten zum Ausdruck bringen, von denen in der Erzählung lediglich berichtet werden kann. Musikalisch in einfacher Lied-, variierter Strophenform oder vielteiliger arioser Struktur verarbeitet, reicht das Spektrum von Liebesbegehren bis zu bitterer Enttäuschung, von Leid über Hoffnung bis zur Verzweiflung, vom kraftvollen Wie froh und frisch (Nr. 14) bis zu wehmütigen Sehnsuchtsgesängen wie dem quasi Schubert’schen Wie schnell verschwindet (Nr. 11), das in seiner Stimmung nur noch durch das folgende Muss es eine Trennung geben gesteigert wird. „Es gibt einige sehr dramatische Lieder, aber es gibt genauso viele romantische und melancholische, weiche, schwingende Melodiebögen zu erfüllen“, erklärt Brigitte Fassbaender, die mit der Schönen Magelone einen der letzten Liederabende vor dem Ende ihrer aktiven Laufbahn als Sängerin bestritt und das Werk am heutigen Abend, zusammen mit Konstantin Krimmel und Wolfram Rieger, durch ergänzende Lesungen in Tiecks Geschichte einbettet.

Das Tempo- und Ausdrucksspektrum der 15 Romanzen mit differenzierten Klangschattierungen der Gesangspartie und technisch anspruchsvollem orchestralem Klavierpart lassen Die schöne Magelone zu einer Art Miniaturoper werden. Bezüglich eines potenziellen Librettos für sein nie geschriebenes Bühnenwerk fragte Brahms seinen Biographen Max Kalbeck rhetorisch: „Sind die Romanzen nicht auch eine Art von Theater?“

In der ersten, Keinen hat es noch gereut, einem einfachen Satz in Es-Dur, lässt Brahms Ross und Reiter mit Fanfaren und rhythmisiertem Pferdegetrappel vorwärtsschreiten und zeichnet ein musikalisches Bild vom kommenden Abenteuer des Grafensohns Peter. Die Nr. 3 Sind es Schmerzen, sind es Freuden, in der ein leidenschaftlicher Gefühlsausbruch auf sanfte Kantilenen folgt, singt Peter nach der ersten Begegnung mit Magelone. Der Entschluss zur gemeinsamen Flucht wird in Wir müssen uns trennen (Nr. 8 – die Worte sind hier an Peters Laute gerichtet) von einer wehmütig getönten Melodie begleitet, und nach dem unfreiwilligen Abschied von der Geliebten singt sich Peter in der zehnten Romanze Verzweiflung – das virtuoseste und dramatischste Stück des Zyklus – die Hoffnungslosigkeit seiner Lage von der Seele.

In Sulima (Nr. 13) möchte die verliebte Sultanstochter mit dem Helden davonlaufen – und führt uns durch harmonische Färbungen und leichtfüßige Rhythmen in östliche Klangwelten. Peter macht sich stattdessen auf die Suche nach Magelone und besingt schließlich gemeinsam mit ihr in der letzten Romanze Treue Liebe dauert lange ihre glückliche Wiedervereinigung. Zahlreiche Elemente des Zyklus begegnen hier noch einmal in Original- und variierter Gestalt, bevor Brahms den Beginn des Liedes als wirkungsvollen Abschluss zitiert.


Lied und Lesung

Den Gedanken, der auch dem heutigen Abend zugrunde liegt – nämlich die Erzählung Tiecks mit seinen Liedern zu verbinden – lehnte Brahms erst einmal grundlegend ab. Der Komponist, der kaum ein Gespräch führte, ohne es mit reichlich Ironie auszustatten, schrieb an seinen Verleger Simrock: „Den verbindenden Text bitte schön mit Goldschnitt binden zu lassen und im Schanzengarten jeden Sonntag vor der Predigt den werten Hausgenossen vorlesen zu lassen. Mit meinen Liedern aber hat er nichts zu tun, so wenig wie die ganze Rittergeschichte!“

Trotzdem entwarf er später eine Fassung mit verbindenden Texten – vielleicht war es Julius Stockhausen, der ihm dazu riet. Um das Missfallen des Komponisten wissend, schrieb er Brahms bezüglich einer Aufführung des Zyklus: „Ob Du mit den einleitenden Worten vor den Liedern einverstanden sein wirst, muss ich leider bezweifeln, aber es ging nicht gut anders zu machen bei einem Publikum, welches wenige dieser großartigen Lieder kennt und auch Tieck wenig liest. Ich glaube, die Kompositionen werden durch die Worte verständlicher, weil das Publikum heutzutage gar zu gerne Programme zur Musik liest. Das Werk machte einen tiefen Eindruck.“


Ivana Rajič studierte Musik- und Kommunikationswissenschaft in München, Berlin und Dublin. Sie ist als Redakteurin für die Elbphilharmonie und Laeiszhalle Hamburg tätig und schrieb für Konzert- und Opernhäuser, Radiosender und den Walter Felsenstein Förderverein, dessen Gründungsmitglied sie ist.

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Johannes Brahms und der Bariton Julius Stockhausen, mit dem er 1869 Die schöne Magelone uraufführte  (Wien Museum)

Die Künstler:innen

Konstantin Krimmel
Bariton

Der rumänisch-deutsche Bariton Konstantin Krimmel begann seine musikalische Ausbildung bei den St. Georgs Chorknaben in Ulm und schloss später sein Studium bei Teru Yoshihara in Stuttgart mit Auszeichnung ab. Er ist Preisträger zahlreicher Wettbewerbe und wurde von 2021 bis 2023 als BBC New Generation Artist gefördert. Von der Zeitschrift Opernwelt erhielt er 2023 die Auszeichnung als bester Nachwuchssänger, ein Jahr später folgte der Opus Klassik in der Kategorie Sänger des Jahres. Das Liedrepertoire nimmt in seiner künstlerischen Laufbahn eine zentrale Stellung ein; Soloabende führten ihn u.a. in die Kölner Philharmonie, die Wigmore Hall in London, das Concertgebouw Amsterdam, die Deutsche Oper Berlin, das Konzerthaus Berlin, die Oper Frankfurt, zum Heidelberger Frühling, zum Oxford Song Festival sowie zu den Schubertiaden in Vilabertan und Schwarzenberg-Hohenems. Seit der Spielzeit 2021/22 ist Konstantin Krimmel Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper in München, wo er in dieser Saison in der Titelrolle einer Neuproduktion von Le nozze di Figaro sowie als Papageno, Guglielmo und erstmals als Don Giovanni zu hören ist. Seine jüngst erschienene Einspielung von Schuberts Die schöne Müllerin mit dem Pianisten Daniel Heide wurde mit dem Gramophone Award und dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Im Pierre Boulez Saal war er zuletzt im vergangenen Januar im Rahmen der Schubert-Woche 2024 zu Gast.

November 2024


Wolfram Rieger
Klavier

Der in Bayern geborene Wolfram Rieger studierte an der Musikhochschule in München bei Erik Werba und Helmut Deutsch und besuchte außerdem Meisterkurse bei Elisabeth Schwarzkopf, Hans Hotter und Dietrich Fischer-Dieskau. Er gastierte in allen bedeutenden Konzertsälen Europas, der USA, Südamerikas und Asiens und arbeitete dabei mit Sänger:innen wie Barbara Bonney, Annette Dasch, Brigitte Fassbaender, Anja Harteros, Christiane Karg, Thomas Quasthoff, Michael Schade und Peter Schreier zusammen. Eine langjährige Partnerschaft verbindet ihn mit Thomas Hampson. Darüber hinaus ist er regelmäßiger Kammermusikpartner des Cherubini Quartetts, des Petersen Quartetts und des Vogler Quartetts. Als engagierter Pädagoge gibt er Meisterklassen und Interpretationskurse in Europa und Asien. Wolfram Rieger ist Träger der Ehrenmedaille der Franz-Schubert-Gesellschaft Barcelona sowie der Hugo-Wolf-Medaille der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart und hat seit 1998 eine Professor für Liedgestaltung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin inne.

November 2024


Brigitte Fassbaender
Rezitation

Kammersängerin Brigitte Fassbaender wurde in Berlin geboren und erhielt ihre Gesangsausbildung in Nürnberg bei ihrem Vater, dem Bariton Willy Domgraf-Fassbaender. Mit ihrem Debüt an der Bayerischen Staatsoper in München im Alter von 21 Jahren begann ihre internationale Karriere, in deren Verlauf sie an allen führenden Opernhäusern und bei den wichtigsten Festspielen der Welt gastierte und alle bedeutenden Partien ihres Fachs sang. Mehr als 250 Aufnahmen dokumentieren ihr Schaffen, darunter Einspielungen der drei großen Schubert-Liedzyklen, die sie als bisher einzige Frau aufgenommen hat. 1994 beendete sie ihre aktive Laufbahn als Sängerin und ist seitdem als Gesangspädagogin und Regisseurin tätig. Von 1995 bis 1997 war sie interimistische Operndirektorin in Braunschweig, im Anschluss leitete sie bis 2012 als Intendantin das Tiroler Landestheater Innsbruck. Von 2009 bis 2017 war sie künstlerische Leiterin des Richard-Strauss-Festivals in Garmisch-Partenkirchen, seit 2002 ist sie in gleicher Funktion für den Eppaner Liedsommer verantwortlich. Ihre Memoiren Komm’ aus dem Staunen nicht heraus erschienen 2019.

November 2024

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